Das Herz der Kriegerin
Dunkelheit des Schachtes war zunächst nichts zu erkennen,
doch ich wusste, dass Vincenzo längst auf dem Weg war, wahrscheinlich bis an die
Zähne bewaffnet. Oder hatte er gar noch andere Fallen aufgestellt? Aufmerksam
betrachtete ich die Wände. Tatsächlich gab es noch einen zweiten Auslöser für
eine Falle, doch es gelang mir, das Seil aus der Halterung zu nehmen, ohne
auszulösen, was auch immer sich Vincenzo als Begrüßung für Eindringlinge
ausgedacht hatte.
Als ich schließlich unten war, vernahm ich Schritte. Vincenzo war
wirklich schnell.
»Vincenzo?«, fragte ich in die Dunkelheit hinein? »Wenn du es
bist, lass dein Schwert stecken, wir sind es bloß.«
Eine Antwort erhielt ich nicht, glaubte aber, das Geräusch eines
Schwertes zu hören, das wieder in seine Scheide geschoben wurde. Wenig später
schälte sich seine Gestalt aus der Dunkelheit. Licht flammte auf, floss in den
Ölzügen an den Wänden entlang und beleuchtete unsere Kammer.
»Laurina!« Ungestüm fiel er mir um den Hals. Ich sah, dass er
etwas magerer geworden war – und nun einen Bart trug. »Gut, dass ihr wieder hier
seid. Wo sind die anderen?«
»Gerade am Abstieg. Ich hoffe, du hattest nicht noch mehr Fallen
aufgestellt.«
»Zwei«, antwortete er.
»Zwei sind ziemlich wenige, wenn du die Dschinn aufhalten willst«,
gab ich zu bedenken, worauf das bisschen Heiterkeit, das auf seinen Zügen
gelegen hatte, verschwand, als hätte es der Windhauch, der durch den Schacht
wehte, mitgenommen.
»Ihr wisst also, dass es die Dschinn waren.«
»Das haben wir uns gedacht, mein Freund!«, sagte Sayd, der
inzwischen von der Leiter gestiegen war. Auch er schloss Vincenzo in die Arme
und klopfte ihm auf den Rücken. »In dem Dorf sah es nicht so aus, als hätte es
einen Brand gegeben.«
»Ein Feuer wäre mir ehrlich gesagt lieber gewesen«, entgegnete
Vincenzo, während seine Augen einen ärgerlichen Lilaton annahmen. »Sie sind in
der Nacht gekommen. Glücklicherweise habe ich seit Rom einen Sinn für sie
entwickelt. Dennoch habe ich sie zu spät bemerkt und nicht alle retten
können …«
Inzwischen waren auch David und Belemoth unten. Der Wind hatte
aufgehört, denn unser nubischer Freund hatte die Luke hinter sich
geschlossen.
»Eine gute Idee, deinen Verfolgern solch einen großen Bolzen
entgegenzujagen«, sagte David, als erst er und dann Belemoth Vincenzo in ihre
Arme schlossen. »Wie ich sehe, hast du von mir gelernt.«
Diese Bemerkung konnte den Zorn und die Betrübnis nicht von dessen
Gesicht wischen. »Leider hat mir das, was ich gelernt habe, nicht viel genützt,
als ich die Leute aus dem Dorf gebracht habe. Ich habe so viele Dschinn getötet
wie möglich, dennoch konnte ich nicht verhindern, dass etliche unserer Freunde
starben, verletzt wurden oder diese Dschinnkrankheit bekommen haben.«
»Dschinnkrankheit?«, wunderte ich mich.
»Erinnerst du dich an das Mädchen, in das Jared damals so verliebt
war? Bei den Leuten hier ist es ähnlich. Sie sind nicht ansprechbar, haben
Fieber und es gibt nichts, was man dagegen tun könnte.«
»Dann lasst uns zu ihnen gehen.« Sayd schritt voran zu der kleinen
Tür, durch die Vincenzo gekommen war.
Die Gewölbe, sonst herrschaftlich und weit wie eine unterirdische
Stadt, ähnelten jetzt einem Lazarett. Überall in den kleinen Nischen lagen
Verletzte und Kranke. Jene, die es nicht erwischt hatte, pflegten die weniger
Glücklichen. Der Geruch von Blut, Eiter und saurem Schweiß hing in der Luft,
doch am Schlimmsten war der Anblick jener, die von den Dschinn ähnlich krank
gemacht worden waren wie damals Giselle. Immerhin schien es nicht ganz so
schlimm zu sein wie bei ihr – sie waren zwar ebenfalls teilnahmslos, doch auf
ihren Armen hatten sie nicht dieses seltsame Sonnenzeichen.
Weiter hinten fand ich Alix und ihre Enkelinnen, die sich um ein
paar Frauen und Männer kümmerten, welche die Dschinn ebenfalls mit ihrem
giftigen Hauch berührt hatten. Ihr Anblick ließ etwas in meiner Brust sich
zusammenkrampfen. Alix hatte von den Dschinn geträumt …
Als sie sich umwandte, fürchtete ich schon, dass ein zorniger
Blick mich treffen würde – doch es war Freude, die auf ihrem Gesicht aufflammte.
Sie reichte den Lappen, mit dem sie die Stirn eines Kranken gekühlt hatte, der
Frau neben sich, dann kam sie zu mir und schloss mich wortlos in die Arme.
»Ihr seid wieder da! Gott sei Dank.«
Verwirrt schlang ich die Arme um ihren Körper. Kein Groll? Wo ich
doch ihren Träumen keinen
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