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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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auch gern. Aber was ich erzählen wollte ist: Der Hofkapellmeister hat Haydn wegen eines einfachen Streiches von den Chorknaben ausgeschlossen. Er hat im Unterricht dem Schüler, der vor ihm saß, den Zopf abgeschnitten!« Sophie kicherte verzückt. »Jedenfalls stand er dann plötzlich auf der Straße und wusste nicht wohin. Metastasio erlaubte Haydn in die Dachkammer ins Michaelerhaus zu ziehen – in unsere Dachkammer, in der Mutter und ich jetzt schlafen! –, und er hat Haydn Italienisch beigebracht. Sein Geld musste er nun selber verdienen. Er hat in anderen Kirchenchören gesungen und Schüler am Pianoforte angenommen, so wie Mutter heute. Mama sagt übrigens, dass auch Mozarts Sarg hier unten in der Gruft stehen würde, hätte der Kaiser sein Verbot nur zehn Jahre später ausgesprochen. Ich glaube, sie bedauert es außerordentlich, dass er draußen auf dem Friedhof von St. Marx begraben liegt. Vielleicht denkt sie, sein Geist und sein Genie würden uns umhüllen, wenn er in unserer Nähe läge.«
    »Du glaubst das nicht?«, hakte András nach, dem der ein wenig abfällige Ton nicht entgangen war.
    Sophie schüttelte den Kopf. »Nein. Sein Körper wäre hier, doch sein Geist hätte diesen Ort längst verlassen. Es gibt nichts, das ihn hier an die Erde binden würde, oder? Er wäre in den Himmel aufgefahren, wie es einem solchen Genie angemessen ist!«
    »Es gibt durchaus Seelen, die sich lange Zeit nicht von der Erde lösen, aus welchen Gründen auch immer.«
    Sophie wiegte den Kopf hin und her. »Mag sein, davon habe ich auch schon gehört. Wenn eine ungesühnte Schuld auf ihnen lastet oder ihnen Unrecht geschehen ist, das sie vergelten wollen, dann werden sie zu einem ruhelosen Geist. Aber glauben Sie das von Mozart? Und warum sollte sein Genie uns umhüllen und Mutter bei ihren Kompositionen helfen?« Sie zog eine Grimasse. »Nein, das glaube ich einfach nicht. Außerdem komponiert Mama auch ohne Mozarts Geist ganz herrliche Musik!«
    Dem konnte und wollte András nicht widersprechen. Sophie wandte sich wieder dem Sarg des Dichters und Dramaturgen zu.
    »So ist also Metastasio der berühmteste Mann hier in der Gruft, und deshalb haben sie seinen Körper auch einbalsamiert und seine Eingeweide herausgenommen wie bei den Mitgliedern des Kaiserhauses«, fügte sie ehrfürchtig hinzu. »Pater Antonius sagt, dass er der Einzige hier unten in den Grüften ist, dem diese Ehre zuteilwurde, und dennoch gibt es hier viele Tote, deren Körper nicht zu Staub zerfallen, bis nur noch ihre Knochen übrig sind. Wollen Sie sie sehen?«
    András bejahte und musste sich angesichts ihres Eifers das Lachen verkneifen.
    »Dann müssen wir zur anderen Seite des Querschiffs.« Das Mädchen wandte sich noch einmal dem Luftzug zu, der von der Sargrutsche in die Gruft wehte, und drehte ihr dann genau den Rücken zu. Langsam schritt sie geradeaus an einer Reihe Särge entlang, die sich an manchen Stellen bis zur Gewölbedecke stapelten. Vorsichtig tastete sie sich voran, um auf dem unebenen Grund nicht zu straucheln.
    »Fühlen Sie es? Wir gehen auf Toten!«, sagte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme, das allerdings kein Anzeichen von Furcht war. »Der Pater sagt, man hat ursprünglich viel tiefer gegraben, doch wenn alles voller Särge stand und sie zu zerfallen begannen, hat man sie von Zeit zu Zeit zerschlagen, Kochen und andere Überreste einfach ausgebreitet und festgestampft. Dann konnte man wieder neue Särge aufstellen.«
    András’ Blick wanderte durch das aus Ziegeln gemauerte Gewölbe. Er konnte die vielen Tausend Toten spüren, die sich unter seinen Füßen im Staub vereint hatten. Sie strömten Frieden aus wie die Toten in den Särgen um ihn herum. Ganz anders als der Zorn und die Verzweiflung, die er zuweilen auf alten Schlachtfeldern verspürt hatte.
    András ging so dicht neben dem Mädchen, dass seine Wärme ihn einhüllte und ihr Duft ihm verführerisch in die Nase stieg, aber er berührte sie nicht. Sie schien seine Hilfe nicht nötig zu haben, und es faszinierte ihn zu sehen, wie gut sie sich in der Finsternis zurechtfand. Sophie blieb stehen.
    »Hier muss es irgendwo sein. Ein Sarg ohne Deckel, bei dem auch eine der Seitenwände herausgebrochen ist – mit einer Frau drin. Sehen Sie es? Leuchten Sie einmal nach rechts hinüber …« Sie verstummte. Ihr Mund öffnete sich in Erstaunen. »Sie haben keine Lampe angezündet! Ich kann sie nicht zischen hören und spüre auch keine Wärme. Das ist mir bisher

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