Das Herz der Nacht
hinwegzusetzen und einen Weg zu finden, sich mit Goran zu verständigen.
András sah zu seinem Diener auf, der noch immer in der Tür stand und auf Befehle wartete. Er hatte ihn offensichtlich überrascht. Für einen Moment sah András Bewunderung in seinem Blick, der auf dem Mädchen ruhte, und eine Zuneigung, derer er den verschlossenen Zigeuner nicht für fähig gehalten hatte. Als Goran bemerkte, dass sich sein Herr ihm zuwandte, verschwand der Ausdruck blitzschnell und machte der gewohnten reglosen Miene Platz. Wie es sich für den Leibdiener eines Grafen gehörte!
Kann ich etwas für Sie tun?, fragten seine Hände.
András sah lächelnd auf das Mädchen herab. »Ich denke, unserem jungen Gast wäre mit einer heißen Schokolade und Kipferln gedient – ja, und auch Konfekt. Das wäre ganz wunderbar.« Das Mädchen strahlte, und der Diener verbeugte sich mit einem leichten Lächeln.
András zog sich einen Stuhl heran und setzte sich Sophie gegenüber. »Wo ist deine Mutter denn hingegangen?« Diese Neugier schickte sich ganz sicher nicht. Sophie schien jedoch nichts daran zu finden.
»Sie hat Carl auf irgendeine Gesellschaft begleitet«, antwortete sie bereitwillig. »Ich weiß nicht wo, aber sie war ganz aufgeregt, weil sie dort mit ihm ein Stück vierhändig spielen wird.«
»Deine Mutter spielt vor einer Gesellschaft auf dem Piano?«, rief András überrascht aus.
»Ja!« Auch Sophie schien das zu erstaunen. »Ich habe gehört, wie sie mit Carl gesprochen hat. Er wollte erst mit jemand anderem dort spielen. Der ist aber krank geworden, und so saß er am Flügel und raufte sich vor Verzweiflung das Haar. Er meinte, er würde so schnell niemand finden, der diese Passagen spielen könnte. Er machte Mutter Vorwürfe, ihre Kompositionen seien so schwierig.«
András wusste nicht, ob er sich über diese absurde Situation amüsieren oder ärgern sollte. Da nutzte Carl die Kompositionen seiner begnadet talentierten Schwester, gab sie als die seinen aus und machte ihr auch noch Vorwürfe, wenn sein zweiter Musiker wegen einer Krankheit ausfiel!
»Und, wie ging es weiter?«, wollte András wissen.
Sophie hob die Schultern. »Sie haben sich ein wenig gestritten, und dann hat Mutter gesagt, sie würde nicht zulassen, dass ein Stümper das Werk zerstört und das Publikum enttäuscht wird. Da konnte Carl nur zustimmen. Sie rief, eher würde sie selbst mit ihm spielen. Carl war sehr erstaunt über den Vorschlag, aber Mutter sagte, auch die Schwestern Fröhlich würden auf Abendgesellschaften spielen und keinen würde es kümmern. Wie viel weniger könnte die Gesellschaft Anstoß daran nehmen, wenn sie mit ihrem eigenen Bruder spielte!«
András lächelte versonnen. Waren da seine Worte etwa auf fruchtbaren Boden gefallen? Selbst wenn Karoline dieses Werk nicht als das ihre präsentieren konnte, so würde sie sicher viel Applaus ernten, davon war er überzeugt.
»Jedenfalls war Carl so erleichtert, gerettet zu sein, dass er sie richtig stürmisch umarmte. Sie hat protestiert und gelacht. So schlimm kann es also nicht gewesen sein. Ja, und dann musste ich versprechen, brav zu sein und alles zu tun, was Hilde mir sagt.« Abwehrend hob Sophie das Kinn, so als erwarte sie von András eine Rüge. Doch András dachte gar nicht daran, sie zu rügen. War das etwa seine Aufgabe? Viel mehr interessierte ihn, warum sie zu ihm gekommen war.
»Willst du, dass auch wir zusammen vierhändig spielen?«
Sophie schüttelte den Kopf. »Nein, das können wir ein anderes Mal machen. Ich wollte fragen, ob Sie mit mir in die Gruft gehen möchten?«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?« Es gab nicht viel, das den Vampir überraschte, aber diese Frage aus dem Mund des Kindes brachte ihn ein wenig aus der Fassung.
»Ja, warum nicht? Dort ist es immer dunkel, und tagsüber sind Sie stets zu beschäftigt, das haben Sie doch gesagt, nicht wahr?«
Ja, das hatte er, als er mit Karoline über die Stunden am Piano gesprochen hatte. Dem Kind entging nichts, und es verfügte über ein gutes Gedächtnis. Das würde er sich merken.
Goran kehrte zurück, die Schokolade und das Gebäck auf einem Tablett. Das war schnell gegangen. Der Diener hatte offensichtlich für den jungen Gast vorgesorgt. Er stellte die Tasse und zwei gefüllte Schalen vor Sophie ab. Sie hob das Näschen und schnupperte.
»Danke, Goran, das riecht köstlich.«
»Ja, greif zu«, pflichtete ihr der Vampir bei, obwohl er weder den Geruch von heißer Schokolade noch den von Gebäck
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