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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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noch gar nicht aufgefallen! Ich meine, hier ist es bestimmt stockdunkel. Wie können Sie da etwas sehen?«
    Er beugte sich zu ihr herunter, bis seine Lippen fast ihr Ohr berührten. »Wie kannst du in deiner Finsternis sehen? Brauchst du eine Lampe?«
    Sophie schüttelte den Kopf. »Nein, aber das ist etwas anderes. Normale Menschen brauchen Licht, sonst sind sie völlig blind.«
    »Ja, so ist es. Seltsam, nicht wahr? Und dabei sagen sie, du seist die Blinde unter ihnen.«
    Das Mädchen ließ sich dieses Mal nicht ablenken. »Sie haben mir noch nicht geantwortet! Wie machen Sie das?«
    »Sagen wir, wenn das Licht zu schwinden beginnt, so ähnlich wie du. Ich nutze alle meine Sinne, nicht nur meine Augen.«
    Sophie tastete nach seiner Hand und strich nachdenklich mit ihren Fingern über seine Handfläche. »Sie sind kein normaler Mensch. Das habe ich von Anfang an gespürt. Ich frage mich, ob Sie überhaupt ein Mensch sind, auch wenn Sie wie einer aussehen, sagt zumindest Mama.«
    András schwieg. Er wollte ihre Vermutungen weder bestätigen, noch wollte er das Kind anlügen. Außerdem war er neugierig, zu welchem Schluss Sophie kommen würde.
    »Als ich Sie das erste Mal gewittert habe, dachte ich wirklich, der Tod sei gekommen, um einen von uns zu holen. Ich vermutete, Großvater müsse nun sterben.« Sie lachte ein wenig unsicher auf. András schwieg noch immer. »Das hört sich verrückt an, ich weiß, denn keiner, den ich kenne, hat den Tod in Menschengestalt gesehen. Nicht einmal der Pater, obwohl er mir viele Bilder beschrieben hat, auf denen der Tod als Mensch mit einer Sense oder als Knochenmann abgebildet ist.«
    »Wann hast du mit ihm darüber gesprochen?«, wollte András wissen.
    »Nachdem ich den Tod bei uns im Musiksalon gerochen habe«, sagte Sophie, als sei dies selbstverständlich.
    »Und, was hat dein Pater gesagt?«
    Das Mädchen seufzte. »Dass ich mich irre. Der Tod käme nicht in Gestalt eines vornehmen Grafen und nehme Klavierstunden bei meiner Mutter. Er sagte auch, Sie hätten mit dem Unfall meines Großvaters nichts zu tun. Wenn, dann wäre ein Engel bei ihm gewesen und hätte sein Leben gerettet, ehe er es unter den Hufen der Pferde und den Karrenrädern verlor.«
    »Und nun? Was glaubst du nun?«
    Sophie hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Wenn ich Sie sprechen höre, denke ich, ich habe mich geirrt. Sie sind einfach ein netter Mann, ein Graf, der Pianoforte spielen will …« Sie zögerte.
    »Aber?«
    »Aber etwas in mir mahnt ständig, dass das nicht richtig ist. Wie kann das sein? Vielleicht stimmt doch etwas nicht mit mir, wie Großvater es immer sagt. Ich meine außer, dass ich nicht wie normale Menschen sehen kann.«
    Ihre Verzweiflung rührte ihn. Er nahm die schmale Kinderhand zwischen die seinen.
    »Sophie, du darfst niemals an deinen Sinnen zweifeln. Viele Menschen haben verlernt zu sehen – auch wenn sie meinen, dass sie das besser könnten als du!«
    »Aber wenn es stimmt, was mir mein Gefühl und meine Witterung sagen, dann tragen Sie den Tod in sich.«
    »Wäre das denn so schrecklich für dich?«
    Sophie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das nicht. Ich möchte so gern, dass Sie mein Freund sind, András. Ich habe noch nie jemanden wie Sie getroffen, aber dann habe ich wieder Angst, Sie könnten etwas Schreckliches über uns bringen, und es wäre besser für uns alle, wenn Sie niemals wieder in unsere Nähe kämen.«
    »Ich habe auch noch niemanden wie dich getroffen, Sophie, und ich möchte gerne dein Freund sein.«
    Als sie ihm ihr Gesicht zuwandte, sah er das Glitzern von Tränen auf ihren Wangen. »Können Sie mir schwören, dass Sie meiner Mutter nichts zuleide tun werden und auch Carl und dem Großvater nicht? Auch wenn er mich nicht mag und immer sagt, ich dürfte eigentlich nicht auf dieser Welt sein. Ich sei die lebendig gewordene Sünde, sagt er!« Sie schniefte und wischte sich die Nase an ihrem Ärmel ab. »Bitte, können Sie das versprechen? Sonst dürfen Sie nicht mehr in unsere Nähe kommen, und Mutter darf Ihnen keine Stunden mehr geben. Das würde sie traurig machen! Und mich würde es auch sehr traurig machen, nicht mehr in Ihrer Nähe sein zu können«, fügte das Kind kaum hörbar hinzu.
    András überlegte lange, ehe er eine Antwort gab. Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, ein Versprechen zu geben, das er nicht einzuhalten gedachte, doch davor scheute er sich. Wenn er den Schwur gab, dann musste er sich auch daran halten! Das gebot ihm

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