Das Herz der Nacht
mehr der blutverschmierten Karte, die Goran vom Boden aufhob und seinem Herrn reichte.
Wie hatte er so blind sein können, nicht zu bemerken, wie sich das Netz langsam um ihn zuzog? Wie hatte er seinen Gegner so unterschätzen können? Der Fremde hatte sein Opfer von Anfang an studiert und so die tödliche Falle gestrickt.
András war schon auf der Treppe, als er Goran noch einige Anweisungen zurief, dann fiel das Tor hinter ihm ins Schloss. Als Fledermaus schoss er in die Luft und zischte pfeilgerade über die Dächer der Häuser der Freyung zu. Das Fenster zum Gemach der Fürstin stand einladend offen. War es vorhin nicht geschlossen gewesen? Wer würde in dieser Winternacht ein Fenster öffnen?
Die möglichen Antworten gefielen András nicht, dennoch nutzte er den kürzesten Weg, der sich im bot, und schoss mit angelegten Flügeln in das Gemach – bis der zugebundene Vorhang seinen Flug abrupt beendete. Der Stoff war zu schwer, als dass er sich hätte hindurchkämpfen können. Er rutschte an der glatten Stoffbahn entlang und stürzte zu Boden.
Er hörte ein Lachen, das zu einer Stimme gehörte, die er nicht kannte, und das ganz sicher nicht freundlich war.
András wandelte sich zurück. Das war der kritische Moment, in dem er angreifbar war, doch blieb ihm eine andere Wahl? Als Fledermaus hilflos auf dem Boden, mit den Flügeln noch in den Falten des Vorhangs verstrickt, genügte ein kräftiger Tritt, ihn zu zermalmen!
Die Wandlung glückte, und András erhob sich in seiner menschlichen Gestalt. Für einen Moment war er irritiert, dass dieser Fehler ihn nicht seine ruhelose Existenz kostete. Warum hatte der andere darauf verzichtet, ihn in diesem Moment anzugreifen? Wozu sonst war diese Falle ausgelegt gewesen?
Er betrachtete seinen Gegner abschätzend. Von seiner äußeren Erscheinung her war er jung, kaum ein Mann zu nennen, was nichts über sein wahres Alter und seine Kräfte als Vampir aussagte. Dennoch fühlte es sich nicht so an, als habe er einen Meister vor sich.
Der Jüngling klatschte in die Hände. »Ein wunderbarer Auftritt, András. Ich gratuliere Ihnen. Sie haben meine Botschaft also bekommen und müssen sich ganz schön beeilt haben, dass Sie jetzt schon hier eintreffen. Darf ich mich vorstellen? Wir hatten bisher noch nicht persönlich das Vergnügen. Mein Name ist Vasiles.«
Langsam kam András näher. Der andere versperrte ihm die Sicht auf Thereses Bett, doch der Geruch ihres Blutes lag schwer über dem Gemach. War er zu spät gekommen?
»Bleiben Sie stehen!«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil Ihnen vielleicht daran liegt, Ihre kostbare Fürstin zu retten?«
Dann lebte sie also noch? András zögerte.
»So ist es brav. Sie haben also tatsächlich Gefühle für Menschen entwickelt. Ich wollte es nicht glauben! Aber es stimmt. Wie kann man sich nach so vielen Jahren dieser Schwäche hingeben?«
»Falls Sie so alt werden würden, hätten Sie die Möglichkeit, das zu erfahren«, erwiderte András. Er versuchte einen Blick auf die Fürstin zu erhaschen. Hob und senkte sich die Bettdecke noch unter ihren Atemzügen?
Der andere lächelte. »Schön gesagt. Sie würden also das Sakrileg begehen, einen anderen Vampir zu vernichten? Nein, ich bin entsetzt.«
»Vasiles, Sie sind in mein Revier eingedrungen und haben mir den Handschuh zugeworfen. Ich nehme ihn lediglich auf. Was sonst bezwecken Sie als einen Kampf bis zur Vernichtung?«
»Sie könnten Ihre Niederlage eingestehen und reumütig in die Höhen der Karpaten zurückkehren«, schlug der andere vor.
»Und Ihnen Wien kampflos überlassen? Sie sind entweder sehr unerfahren oder verrückt!«
»Nein, Sie sind verrückt, wenn Sie dachten, Ihr Verrat würde ungestraft bleiben und Sie nicht eines Tages einholen.«
András blinzelte überrascht. »Ich sollte an Ihnen Verrat begangen haben? Ich kann mich nicht erinnern, dass sich unsere Wege schon einmal gekreuzt hätten.«
Vasiles schüttelte heftig den Kopf. »Sind Sie so einfältig oder tun Sie nur so? Nicht an mir!«
»Dann tun Sie das alles also nicht aus eigenem Antrieb. Sie wurden geschickt …«, sagte András langsam.
Vasiles reckte sich stolz zu seiner vollen Größe auf. »Ja, denn ich bin ein treuer Diener, des Vertrauens würdig, das man mir schenkt.«
»Wie lautet Ihr Auftrag?«, ächzte András, obwohl er es ahnte.
»Wie wohl? Ihnen alles nehmen, was Ihnen lieb und teuer geworden ist!« Vasiles strahlte ihn an.
»Das wird Ihnen nicht gelingen!«, knirschte
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