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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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neugierig gemacht. Sie haben mir das Glück gezeigt, mein Freund, und lassen mich nun mit dem Grau meines Alltags allein. Nein, Sie brauchen sich nicht verteidigen oder mir ewige Freundschaft schwören. Wenn es so ist, freue ich mich darüber und werde jede Minute in Ihrer Gesellschaft genießen. Dennoch gehört auch das Grau des Alltags zu meinem Leben, das ich nun tiefer empfinde, und es steht in keiner Macht, es mir zu ersparen. So ist das Leben! Glauben Sie nicht, dass ich nun auch die Abgründe Ihres Geheimnisses ertragen könnte?«
    »Sie haben mich beschworen, unsere Freundschaft über diesen Tag hinaus zu bewahren. Wollen Sie sie nun Ihrer weiblichen Neugier wegen aufs Spiel setzen?«
    Therese starrte ihn erst verblüfft an, dann lachte sie. »Ah, Ihr Name ist eigentlich Loherangrin! Müssen Sie wieder in Ihr verborgenes Reich verschwinden, wenn ich Sie nach Ihrem Namen frage?«
    Er fiel nicht in ihr Lachen ein. Stattdessen sagte er ernst: »Ja, das kommt der Sache recht nahe. Wobei Loherangrin zu den strahlend guten Helden gehört. Meine Welt dagegen ist die Finsternis. Und es ist nicht mein Name, der Sie schrecken würde.«
    »Was dann?«, fragte sie leise. Sie näherte ihr Gesicht, dass sie das Gefühl hatte, ihr Blick würde in den seinen gesogen. Da war wieder dieses Flackern in seinen Augen, das rote Glühen, das so gar nicht menschlich schien.
    »Therese, halten Sie ein. Sie wissen nicht, was Sie für eine Feuersbrunst entfachen könnten, wenn Sie weiter mit den Flammen spielen. Für mich ist sie keine Gefahr, aber Sie würde das Feuer verzehren!«
    »Bis nur noch ein Häufchen Asche übrig bleibt?«, hauchte sie. Ihre Lippen berührten sich nun fast.
    »Nein, ein leerer, kalter Körper, der nicht mehr zu Zärtlichkeiten und Leidenschaft taugt, sondern nur noch – stumm und kalt – der Erde zum Zerfall.«
    »András, wollen Sie mir Angst machen und mir sagen, Sie seien der verirrte Geist, der nachts in Wien sein Unwesen treibt und die Frauen und Männer tötet? Ja, sie bestialisch abschlachtet?« Ein Hauch von Unsicherheit schlich sich in ihre Stimme.
    »Nein, der bin ich nicht, und dennoch könnte ich es sein. Es ist genug Finsternis in mir – ich will nicht sagen in meiner Seele,denn eine solche besitze ich vermutlich schon lange nicht mehr.«
    »Ja, und nun wollen Sie mir gleich weismachen, dass Sie ein verirrter Dämon sind, der der Hölle entsprungen ist. Ach András, ich meine es ernst.«
    »Ich meine es auch ernst, Therese, denn ich begehre Sie mit jeder Minute mehr, dass ich nicht weiß, ob ich mich auf meine lang geübte Beherrschung verlassen kann. Sie begehren mich auch, wollen Sie sagen, und dass das für Sie in Ordnung sei? Nein, Therese, denn ich lechze nach einer anderen Erfüllung. Nach Ihrem Blut!«
    Sie hörte seine Worte, die so ernsthaft klangen, und gleichzeitig so unsinnig. Und dennoch war da etwas in seinem Ausdruck, das sagte, dies war alles andere als ein Scherz. Das Verlangen loderte bedrohlich in seinen Augen, aber sie wich nicht zurück. War es verrückt, dass sie alle seine Warnungen in den Wind schlug? Noch immer konnte sie nicht an das Düstere glauben, das Unnatürliche, das sich wie bedrohliche Schatten um sie zu schließen begann.
    András öffnete den Mund und zog seine bleichen Lippen ein wenig hoch. Irgendetwas stimmte nicht mit seinen Zähnen. Was war das? Die beiden Eckzähne schimmerten unglaublich spitz und schienen zu wachsen.
    Therese schüttelte den Kopf. Sie musste träumen. Und dennoch begriff sie, dass sie nun an dem Abgrund stand, von dem András gesprochen hatte.
    »Wirst du mich jetzt töten?«, fragte sie ohne ein Zittern in der Stimme.
    »Nein, und ich rühre dich auch nicht an, wenn du mich jetzt wegschickst. Doch wenn ich mein Verlangen an dir stillen darf, dann verspreche ich dir, dass du keine Schmerzen erleiden und auch nicht daran sterben wirst.«
    »Ist es das, was dir deine glücklichen Augenblicke schenkt?«, fragte sie in einem rauen Flüstern. András nickte. Er wartete, ohne sich zu rühren.
    Therese sah ihn an. Jedes Detail prägte sie sich ein. Sein altersloses Gesicht, so bleich und glatt, sein dunkles Haar, die düsteren Brauen, die schwarzen Augen mit dem lodernden Feuer, die schöne Gestalt, jeder Muskel wie von einem der Renaissancekünstler aus einem makellosen Marmorblock gemeißelt. Langsam sickerte Verstehen durch ihren Geist, doch es schreckte sie nicht. Vielleicht war es gerade das, was sie am meisten erstaunte. Eine

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