Das Herz der Nacht
aufzusuchen, als die Flammen den Deichstraßenfleet übersprangen und sich über die Häuser der Steintwiete hermachten.
25. Kapitel
Eine Stadt in Flammen
Der 5. Mai 1842 brach an. Warm und trocken, wie die Tage zu vor, doch heute verhüllte dunkler Qualm den blauen Himmel, und ein stürmischer Südostwind trieb die Rauchschwaden über die Stadt. Die wenigsten Hamburger kümmerten sich darum. Das war Sache ihrer Feuerwehr, die sie üppig mit Gerätschaften ausgestattet hatten. Heute war Himmelfahrtstag, und so machten sich viele Bürger zum Gottesdienst auf. Auch in der Nikolaikirche fand die traditionelle Mittagspredigt statt, währenddessen nur einige Straßenzüge weiter südwestlich die Feuerwehrleute gegen die Flammen kämpften. Die Spritzenmeister ließen Polizeisenator Binder holen und drangen auf ihn ein, einige Häuser sprengen zu dürfen, um die weitere Ausbreitung des Brandes zu verhindern.
»Wir brauchen eine Schneise, die die Flammen nicht überspringen können!«
Der Senator schüttelte den Kopf und riet, alle Spritzen einzusetzen, die der Feuerwehr zur Verfügung standen.
»Sie haben genug Männer und Ausrüstung«, rief er über das Brausen des Feuers hinweg. »Setzen Sie sie richtig ein, dann ist der Spuk schon bald vorbei.«
»Bitte, geben Sie uns die Erlaubnis«, versuchte es Spritzenmeister Claasen noch einmal, aber der Senator wandte sich bereits zum Gehen.
»Meine Antwort lautet nein! Was glauben Sie, welche Regressforderungen der Hausbesitzer über mich kämen, sollte ich dieser Forderung zustimmen.«
»Sollen ihre Häuser stattdessen lieber verbrennen?«, widersprach Claasen, doch der Senator konnte ihn nicht mehr hören. Der Lärm des heranrückenden Feuers war ohrenbetäubend.
Claasen wandte sich seiner Löschmannschaft zu. »Ihr habt es gehört, Männer. Macht weiter. Richtet die Spritzen auf die umliegenden Häuser und versucht zu verhindern, dass die Flammen auf die Dächer dort übergreifen. Und ihr drei lauft zum Hafenkommandanten und seht zu, ob wir nicht noch einige Schiffsspritzen über das Fleet heranbekommen.«
Die Mittagspredigt in St. Nikolai war noch nicht beendet, als die Flammen den Turm ergriffen. Der Pfarrer beschloss, auf den Rest seiner Predigt zu verzichten, und raffte die wertvollen Altargeräte zusammen. Die Menschen strömten ins Freie und sahen mit offenen Mündern zum Turm hoch, der innerhalb weniger Minuten zu einer riesenhaften Fackel wurde. Die Bilder und Statuen oder gar den Altar aus St. Nikolai in Sicherheit zu bringen war es bereits zu spät. Die Feuerwehrleute drängten die Menschen zurück, doch was konnten sie tun, die Kirche zu retten?
»Lasst die Kirche!«, brüllte Claasen den Männern zu. »Konzentriert euch auf die Häuser im Nordwesten. Sie sind die nächsten, die in Flammen aufgehen, wenn wir es nicht schaffen, sie mit genug Wasser zu kühlen.« Er spucke auf den Boden. »Verfluchter Wind! Er treibt die Feuerdämonen wie Herbstblätter durch die Gassen und lacht uns nur aus.«
Um vier Uhr am Nachmittag neigte sich die Kirchturmspitze langsam zur Seite, verharrte noch einen Moment und fiel dann herab. Ein Funkenwirbel stob auf und drängte die Feuerwehrleute in die umliegenden Gassen zurück, ehe sie mit zusammengebissenen Zähnen ihre Arbeit wieder aufnahmen. Dann, eine weitere Stunde später, stürzte der gesamte Turm von St. Nikolai mit ohrenbetäubendem Getöse in sich zusammen.
Polizeisenator Bingen war trotz der Rußspuren im Gesicht ungewöhnlich bleich, als er sich kurz nach dem Zusammenbruch der Kirche wieder zu den Kommandanten der Feuerwehr gesellte.
»Der Rat hat zugestimmt«, sagte er, ohne den sichtlich erschöpften Männern ins Gesicht zu sehen. »Sie können sprengen. An der Deichstraße, am Hopfenmarkt und an der Neuen Burg.«
»Möge Gott geben, dass es nicht bereits zu spät ist«, murmelte Claasen, fasste sich aber gleich und rief einige Männer zu sich, die mit Sprengungen bereits Erfahrung hatten. »Schnell, folgt mir. Jetzt zählt jede Minute. Die Schneise muss gelegt sein, ehe die Flammen den Bereich überspringen.«
Die Sprengungen kamen zu spät. Vom auffrischenden Wind angefacht breitete sich das Feuer rasch aus. Bürgermeister Beneke und seine acht jüngsten Ratsherren harrten noch im rasch geräumten Rathaus an der Trostbrücke aus, um Meldungen von den Löscharbeiten und den aus der Umgebung eintreffenden Feuerhelfer entgegenzunehmen, schnell Entscheidungen treffen zu können und Befehle zu erteilen.
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