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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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nie im Stich lassen würde, aber ich habe nicht nachgedacht! Ich habe nur auf das Gerede von der Feuersbrunst gehört, die auf uns zurollt, und mich von ihrer Angst anstecken lassen.«
    Die Verzweiflung des Kindes rührte Karoline. Sie stand auf, kniete sich vor sie und zog sie in die Arme. »Ich weiß, und András weiß es auch. Es wird schon nicht so weit kommen. Senator Jenisch war vorhin kurz da. Das Rathaus ist weitgehend geräumt, und sie sind entschlossen, es zu sprengen, ehe sie zulassen, dass das Feuer auf den Jungfernstieg überspringt. Wir haben also Grund zu hoffen. Und nun üben wir uns in Geduld und warten darauf, dass die Sonne untergeht. Wenn András erwacht, wird er entscheiden.«
    »Sollen wir nicht schon einmal die wichtigsten Dinge packen und die Pferde einspannen?«, schlug Sophie vor.
    Karolines Blick wanderte sehnsüchtig zu ihrem Flügel. »Ja, alles, was uns wichtig ist.« Sie riss sich mit einem Ruck los. »Du hast recht. Lass uns packen und die Kutsche fertig machen.«
    Sophie begleitete ihre Mutter ins obere Stockwerk, wo sich ihre Schlafgemächer befanden, und zählte die Dinge auf, die sie in den beiden Reisetaschen verstauen sollte. Karoline füllte die Taschen und stopfte dann noch einen Stapel Noten dazu.
    »Warte hier«, wies sie das Kind an. »Ich werde hinuntergehen und die Pferde anspannen.«
    »Kannst du das denn?«, wandte Sophie ein.
    Karoline seufzte. »Ich muss, wenn ich drüben im Stall keinen der Knechte mehr vorfinde, oder? Unsere beiden Mädchen haben das Haus verlassen, und wenn András erwacht, soll alles bereit sein.«
    »Ich komme mit!«
    »Nein, du bleibst hier bei den Taschen und wartest, bis ich dich hole!«
    Karoline eilte die Treppe hinunter, ohne sich um den Protest ihrer Tochter zu kümmern. Sie verließ das Haus durch den Hintereingang und eilte über die Gasse zu dem Gebäude gegenüber, um dessen Hof sich der Stall und die Wagenremise für die umliegenden Häuser befanden. Die vier Rappen begrüßten sie mit freudigem Wiehern. Karoline sah zu ihnen auf. Wie sollte sie das machen? Sie hatte noch nie eingespannt. Und welche Kutsche sollte sie nehmen? Die Reisekutsche, die sie vor zwei Jahren nach Hamburg gebracht hatte, oder die neue leichte Stadtkutsche? Zweispännig oder vierspännig? Wohin würde ihre Reise sie führen? Konnten sie schon bald in ihr Haus zurückkehren, oder würden sie gezwungen sein, es endgültig zu verlassen, wenn es der Feuerwehr nicht gelang, den Vormarsch des Brandes aufzuhalten?
    Ein Rascheln in der Pferdebox neben ihr ließ sie aufsehen. Zwei große Kinderaugen starrten sie an.
    »Tiebo! Was machst du hier?«
    »Ich soll warten, bis Papa zurück ist«, sagte der Sohn des Stallknechts. »Er ist mit den anderen mit dem Karren in die Stadt gefahren, um Sachen aus den Häusern zu retten. Wenn es gefährlich wird, kommt er mich holen, hat er gesagt. Ich darf nicht weggehen!«
    Ob es sich bei den zu rettenden Sachen um Dinge handelte, die bei ihren Eigentümern verbleiben würden, oder ob die Männer zu plündern gedachten, kümmerte Karoline in diesem Moment nicht.
    »Tiebo, kannst du die Pferde vor die Kutsche spannen?«
    Der Junge wiegte zögernd den Kopf. Karoline zog zwei Münzen aus der Tasche und hielt sie ihm hin. Tiebo strahlte und sprang auf.
    »Natürlich kann ich die Rappen einspannen, gnädige Frau. Ich habe Papa schon oft geholfen. Nehmen Sie die große Kutsche und alle vier Pferde? Wenn Sie aufs Land wollen, wie alle anderen, dann sollten Sie schon vierspännig fahren. Außerdem wollen Sie ja sicher nicht zwei Ihrer Pferde zurücklassen, wenn das Feuer kommt?«
    Karoline nickte und folgte den Anweisungen des Jungen, der die vier Rappen in kürzester Zeit vor den Wagen gespannt hatte. Dann griff er in die Zügel und führte die Pferde durch das Tor auf die Gasse hinaus. Karoline dankte dem Jungen noch einmal und eilte ins Haus zurück.
    In diesem Augenblick versank die Sonne, von Asche und Rauch getrübt, hinter dem Horizont.
    »András!«, rief Karoline erleichtert und ließ sich dazu hinreißen, auf ihn zuzueilen und ihn zu umarmen, als er auf dem Treppenabsatz erschien.
    Er strich ihr über das Haar. »Was hat dich so aus der Fassung gebracht?«
    Ein wenig beschämt trat Karoline zurück. Jetzt, da András vor ihr stand, kam ihr die wachsende Panik, die sie empfunden hatte, übertrieben vor.
    »Das Feuer!«, rief Sophie und lief nun ebenfalls auf ihn zu. »Wir hatten Angst, dass es hierher kommt, ehe du erwachst. Alle

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