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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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die Nase steigt, derer man sich kaum bewusst erfreut und die dann genauso unbeachtet wieder verfliegt.
    Während András das Tor öffnete und eintrat, prüfte er sein Gedächtnis und suchte nach dem Ort und der Zeit, da dieser Hauch ihn gestreift haben mochte, aber die Erinnerung wollte sich nicht einstellen. András roch noch einmal an dem Messer. Dieses Mal nahm er sich den Griff vor. Er stutzte. Wie konnte das sein? Die Spuren waren nicht mehr frisch, dennoch fiel es ihm nicht schwer, sie eindeutig zuzuordnen. Ungläubig starrte der Vampir auf das Messer herab. Das wurde ja immer seltsamer. Der Vorfall musste geklärt werden. Je schneller desto besser!
    András rief nach Goran. Er hatte die Stimme kaum erhoben und nur einmal seinen Namen genannt, schon kam der Diener herbeigeeilt und neigte den Kopf. Wieder einmal fragte sich András, wie er das machte. Verfügten Zigeuner über einen sechsten Sinn oder auch nur über ein besonders scharfes Gehör? Warum schlief er nie oder war zu weit entfernt, um die Stimme seines Herrn zu hören, wenn dieser nach ihm rief? Natürlich konnte sich Goran bei Tag einige Stunden zur Ruhe legen, wenn der Herr in seinem Sarg ruhte, doch auch tagsüber gab es zahlreiche Pflichten, die Goran zu erledigen hatte. Nicht zuletzt sich um die sechs Rappen zu kümmern, die im Stall im hinteren Teil des Palais untergebracht waren.
    Goran sah fragend zu seinem Herrn auf. Er wirkte wie immer. András sandte seine Sinne aus, um Stimmung und Gedanken des Dieners zu prüfen. Nein, er konnte nichts Ungewöhnliches finden. So hielt er ihm das blutige Messer entgegen. »Ich habe es auf der Schwelle draußen gefunden.«
    Interessiert betrachtete Goran die Klinge und wog den Griff in den Händen, als András ihm das Messer übergab.
    »Weißt du etwas darüber, wie es dort hinkam? Oder hast du eine Vermutung, wessen Blut an dem Stahl klebt?«
    Goran schüttelte den Kopf. Keine Gefühle der Schuld, keine Falschheit in seinem Blick, als er seinen Herrn offen ansah.
    »Niemanden gehört oder gesehen, der es hier zurückgelassen haben könnte?«
    Wieder schüttelte der Diener den Kopf.
    »Ich hoffe jedoch, du kannst mir erklären, wann und warum du dieses Messer bereits in Händen gehalten hast«, fügte András beinahe sanft hinzu.
    Goran riss die Augen auf und deutete auf seine Brust. Dann wies er das Messer von sich und schüttelte den Kopf.
    »Es besteht kein Zweifel, du brauchst es nicht zu leugnen. Dein Duft klebt an dieser Waffe wie das Blut seines Opfers.«
    Goran ließ den Arm sinken und starrte den Grafen fassungslos an. Die Verwirrung war nicht gespielt. Langsam trat er auf den einzigen Kerzenleuchter zu, der in der Halle brannte, und betrachtete das Messer im Lichtschein noch einmal genau. András beobachtete ihn und bemerkte den Augenblick, als Goran das Messer erkannte. Der Diener wurde fast so bleich wie sein Herr.
    »Nun?«
    Goran winkte dem Grafen, ihm zu folgen, und lief durch die Halle und weiter in den Trakt der Bediensteten, wo sich auch die Küche, die Speisekammer und eine Waschküche befanden. Anders als in den anderen hochherrschaftlichen Palais in Wien wurden diese Räume hier kaum benutzt und wirkten verlassen. Nur Goran lagerte in der Kammer ein paar wenige Lebensmittel für sich oder wusch seine Kittel und Hosen in einem der Bottiche aus. Die Küche und den Herd nutzte er noch seltener. Meist aß er in einer der Gastwirtschaften in der Stadt. Nur ab und zu schnitt er sich einen Kanten Brot oder Schinken für ein schnelles Mahl zwischendurch ab. Nun aber führte Goran seinen Herrn in die Küche, bis er vor dem großen Herd stand, über dem an unzähligen Haken kupferne Töpfe und eiserne Pfannen hingen, Schöpfkellen und Löffel. Doch diese interessierten den Diener nicht. Er deutete auf einen Holzblock mit sechs Schlitzen. Vier von ihnen waren leer. In den anderen steckten zwei Messer. Goran war so aufgeregt, wie András ihn noch nicht erlebt hatte, als er eines der Messer herauszog. Mit zitternder Hand übergab er es seinem Herrn.
    András betrachtete das saubere Messer aus dem Block und das blutige, das er auf seiner Schwelle gefunden hatte. Nun war ihm klar, wie Gorans Witterung auf den Griff gekommen war.
    »Es ist eines der unseren«, sprach er aus, was offensichtlich vor ihm lag. Goran nickte und deutete auf die vier leeren Schlitze.
    »Eines von vieren, die auf unerklärliche Weise verschwunden sind. Das ist höchst interessant. Kannst du mir sagen, wann die Messer noch da

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