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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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seinen Übungen fortzufahren. Und dennoch kam es ihm nicht in den Sinn, dem Verbot ihres Bruders zuwiderzuhandeln. Er wollte weder Carl Eduard zu einer unbedachten Handlung treiben, bei der der ungestüme junge Mann leicht verletzt werden könnte, noch Karoline in die Verlegenheit bringen, sich auf die Seite ihres Bruders und gegen den Grafen stellen zu müssen. Außerdem ahnte er, dass er ihre und Sophies Lage nur noch schlimmer machen würde, sollte er sich weiter einmischen. Nein, so schwer ihm der Verzicht fiel, es war das Beste, wenn er sich fernhielt. Die Saat hatte er gesät, nun konnte er für die beiden nur hoffen, dass sie aufging und Freude in ihr Leben brachte.
    Während András einige Übungen wiederholte, die Karoline ihm vorgespielt hatte, überlegte er, warum ihm das Wohl der beiden am Herzen lag. Wie ungewöhnlich. Sonst machte er sich nicht so viele Gedanken über die Menschen seiner Umgebung. Gut, er achtete darauf, seinen Weg nicht mit toten Körpern zu pflastern, doch das war lediglich Selbstschutz, um die mit jedem Jahrhundert hartnäckiger werdende Polizei nicht auf seine Spur zu führen. Er war es einfach leid, sich ständig neue Quartiere zu suchen. Geld hatte er inzwischen zwar genug, auch dank des verblichenen Bankiers Fries mit seinen leichtsinnigen Söhnen. Und außerdem gefiel es ihm einfach hier in Wien, und er gedachte, dieses Mal so lange zu bleiben, bis es den Menschen nicht länger verborgen bleiben konnte, dass sie alle dem Alter anheimfielen, er jedoch sein makelloses Äußeres Jahr für Jahr bewahrte. Bis dahin wollte er sich hüten, etwas zu tun, das seinen Aufenthalt vorzeitig zu einem Ende zwang.
    András spielte noch ein wenig, aber es wollte nicht die rechte Lust aufkommen. So erhob er sich, durchquerte den Marmorsaal und trat ins Entree, wo Goran in einem Korb die Einladungen ablegte, die für den Grafen eintrafen. András sah die Karten auf edlem Papier mit Goldverzierung oder feinen Drucken durch. Nichts konnte ihn über die Leere, die er plötzlich verspürte, hinwegtäuschen. Bei der Einladung zu einem Musik- und Theaterabend hielt er inne.
    Verehrter Freund, stand dort in der ihm schon vertrauten Schrift. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, wenn ich Ihnen diesen Abend anpreise und versuche, Ihren Schritt heute Abend ins Palais im Augarten zu lenken. Unter uns gesagt, es wird eine schauderhafte Darbietung, was ich allerdings nicht sagen darf, denn ich erweise mir und der Organisation, die ich ins Leben gerufen habe, einen Bärendienst, wenn ich mögliche Gäste vergraule! Es geht darum, Geld für die Notleidenden zu sammeln. Wenn Sie es also über sich bringen, sich in die Rolle des freigiebigen Spenders zu begeben oder in die des duldsamen Exoten, der sich gnädig unter das gemeine Volk mischt und sich begaffen lässt, dann wäre ich entzückt, Sie begrüßen zu dürfen!
    Ihre Therese
    Fürstin Kinsky von Wchinitz und Tettau
    Er spürte, wie ein Lächeln sein Gesicht erhellte, und es war ihm, als könne er die Stimme der Fürstin hören. Ein wenig spöttisch und selbstironisch, dabei aber fest entschlossen, ihre Ziele zu erreichen. Ja, das könnte ein amüsanter Abend werden. Er liebte es, wenn Gegensätze aufeinanderprallten. Das bot stets ein interessantes Szenario, die Menschen mit ihren Eigenheiten und Schwächen zu studieren.
    »Goran, ich brauche einen Abendanzug. Ich gehe aus.«
    Der Diener war wieder einmal so schnell zur Stelle, dass sich András nicht zum ersten Mal fragte, ob er ein richtiger Mensch war. Beim Umkleiden ging Goran mit ruhiger Hand geschickt vor, so dass András kaum eine halbe Stunde später bereit war, das Haus zu verlassen.
    »Ich werde heute selbst kutschieren«, beantwortete er die stumme Frage des Dieners. »Bleibe du hier und halte die Augen offen. Es wäre mir recht, wenn ich bei meiner Rückkehr keine blutigen Messer auf der Schwelle vorfinde.«
    Goran zog eine grimmige Miene und zeigte auf seinen Dolch am Gürtel, dessen beide Schneiden sorgfältig geschärft waren.
    »Und ich möchte auch nicht, dass ich deinetwegen Ärger mit der Polizei bekomme«, warnte der Graf. »Also überlege dir gut, was du tust.«
    Gorans abfällige Miene spiegelte seine Meinung über die Polizei wider, dennoch nickte er und verabschiedete seinen Herrn mit einer Verbeugung.
    »András!« Fürstin Kinsky eilte auf ihn zu und streckte ihm beide Hände entgegen. »Mein Freund, ich habe kaum zu hoffen gewagt, Sie heute hier zu sehen.«
    »Nachdem Sie mich so

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