Das Herz der Puppe
schimpfen könnte, saugte Widu unterwegs schnell fort. Und für eine neue Angst gab es keinen grund. Die Mutter lächelte, als sie Nina sah. Sie schien nicht nur die schlechte Note, sondern die ganze Schule vergessen zu haben.
In der Nacht lag Widu lange wach. Sie fühlte sich wohl bei dem Mädchen, in dessen Armen sie lag, und sie fragte sich, warum. Ninas gesicht war fein, aber nicht feiner als das von vielen anderen Kindern, denen sie in ihrem Puppenleben begegnet war. Nina war ein kluges Mädchen, aber das waren andere auch gewesen. Sie behandelte sie gut, aber das hatten andere auch getan.
Warum wurde sie nur gleich so traurig und stumm, wenn Nina sie einmal nicht beachtete? Das war ihr noch nie passiert. Und nur bei dieser Nina spürte sie ein seltsames Kitzeln auf der Zunge, wenn das Mädchen ihr zuhörte. Fragen über Fragen jagten Widu durch den Kopf, aber Antworten darauf fand sie nicht.
Zwei Missverständnisse
Zum Nachtisch gab es heute leckere Crème caramel , denn es war Sonntag. Ninas Vater seufzte behaglich und sagte, er genieße den Sonntag, aber er sei auch glücklich, dass er morgen wieder seine schöne Arbeit machen dürfe.
»Ich bin eher glücklich, wenn man mich nichts machen lässt«, sagte Widu.
»Ich auch«, sagte Nina und lachte.
Ihr Vater sah sie liebevoll an. Und spätabends im Bett, bevor ihm die Augen zufielen, sagte er zu Ninas Mutter: »Ich war heute richtig gerührt, wie erwachsen unsere Tochter geworden ist. Sie versteht sogar schon meine Freude an der Arbeit.«
»Sie ist noch klein, aber manchmal will sie ihrem großen Papa imponieren«, sagte die Mutter.
Aber da lagen sie nun beide falsch.
Rollen
Einmal wollte Nina nachmittags fernsehen . Es gab erst einen Kinderfilm und danach eine lustige Unterhaltungssendung. Aber es vergingen keine zehn Minuten, und Widu begann zu meckern: »Das Lachen ist nicht echt.«
»Die Moderatorin grinst ein bisschen viel«, gab Nina zu. »Aber sie ist doch lieb.«
»Lieb nennst du das? Sie redet wie eine blöde Nuss, weil sie auch die Kinder für blöde hält. Aber ich meine gar nicht die Moderatorin, sondern das Lachen aus der Büchse, das sie nach jedem Witz abspielen. Was denken die sich eigentlich dabei?«
»Ich weiß, das ist dumm, aber die Witze sind trotzdem lustig.«
»Die sollen lustig sein? Ich kannte schon vor dreißig Jahren bessere. Und selbst du könntest besser schauspielern als die gurken da mit ihren Wachsgesichtern, die sich Schauspieler nennen. Die sind noch nicht mal schlecht – die sind überhaupt keine Schauspieler!«
»Ach, du nervst heute!«, stöhnte Nina.
»Und du bist mir heute zu simpel«, seufzte Widu. »Bring mich bitte in unser Zimmer. Wenn du hinterher nicht vollkommen verblödet bist, können wir zusammen Theater spielen.«
Da stand Nina wütend auf, brachte Widu in ihr Zimmer und schmiss sie zu den anderen Kuscheltieren aufs Bett.
Danach saß Nina keine Viertelstunde vor dem Fernseher, als sie es in ihrem Zimmer singen hörte. Erst dachte sie, sie hätte sich verhört, aber dann war es im Fernsehen ein paar Sekunden still, und sie hörte es ganz deutlich. Leise schlich sie über den Flur und lauschte. In ihrem Zimmer gratulierte irgendwer irgendwem zur Hochzeit. Sie schob die Tür einen Spaltbreit auf und sah Widu vor den Kuscheltieren stehen und singen. genau vor ihr standen nebeneinander das Schaf und das Nilpferd.
»Was macht ihr da?«, fragte Nina.
»Wir spielen Hochzeit. Wolke heiratet Mauli, das Nilpferd.«
Nina lachte. »Mauli?!«, sagte sie verwundert. »Den Namen hab ich ja noch nie gehört.«
»Weil du nie danach gefragt hast«, sagte das Nilpferd. »Früher warst du nur in den Affen und jetzt bist du in Widu verliebt, aber bei der Hochzeit muss man einen Namen haben, sonst gilt es nämlich nicht.«
Das sah Nina ein. Und den Fernseher hatte sie im selben Augenblick vergessen. Eine Hochzeit war ja viel wichtiger und bestimmt schöner. Sie sangen alle zusammen fröhliche Lieder, dann marschierten sie in einer feierlichen Prozession davon.
Die Hochzeit war zu Ende.
»Wollen wir jetzt noch Theater spielen?«, fragte Nina, als alle ein bisschen erschöpft und still auf dem Fußboden saßen.
»Ja, gerne«, sagte Widu. »Und was willst du spielen?«
»Mutter und Tochter. Ich bin die Mama, und du bist das Baby«, antwortete Nina.
»O bitte, nein! Das hab ich schon siebenhundertsiebenundsiebzig Mal gespielt.«
»Dann sag du, was du lieber spielen willst?«
»Deine Hand ist
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