Das Herz der Wueste
ihn geküsst!
Vergiss die Küsse. Was war, wenn sie die Flüchtlinge durch ihre Unbesonnenheit in Gefahr gebracht hatte?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Obwohl sie bezweifelte, dass ihr ein Spion die Wahrheit verraten würde …
„Arbeitest du wirklich für Aid for All ?“
„Warum nicht?“, reagierte er mit einer Gegenfrage, was ihr Misstrauen erst recht schürte.
„Das ist keine Antwort.“
„Für wen sollte ich sonst arbeiten?“ Aha, er drückte sich um ein klares Ja oder Nein!
„Die Regierung, die kämpfenden Clans, wer weiß? Du könntest ein Spitzel sein.“ Sie seufzte leise. „Es ist doch merkwürdig, dass nach all den Monaten auf einmal jemand hier auftaucht und seine Hilfe anbietet, Brunnen und medizinische Geräte verspricht. Vielleicht tust du das nur, um vom eigentlichen Zweck deines Besuchs abzulenken … Woher soll ich das wissen?“
Kamid stand auf und streckte ihr die Hand entgegen. „Vertrau mir.“
Sie nahm sie nicht. „Ich bleibe noch ein bisschen.“
Was habe ich gesagt oder getan, dass sie misstrauisch geworden ist?, fragte Kamid sich auf dem Rückweg zum Sanitätszelt, um noch einmal nach Akbar zu sehen, bevor er sich etwas zu essen holte. Die Menschen um ihn herum in ihren langen traditionellen Gewändern bewegten sich unbefangen, und ihm wurde klar, dass es für die kämpfenden Clans ein Leichtes wäre, hier Spitzel einzuschleusen.
Doch wozu? Was konnte man diesen armen, heimatlosen Flüchtlingen noch nehmen?
„Ich bin hier, um mir die Zustände anzusehen und herauszufinden, was gebraucht wird“, erklärte er Jenny, als er sie wenig später im Verpflegungszelt traf. „Aus Regierungssicht und im Sinne von Aid for All. Ich will wissen, was getan wird und was getan werden muss.“
Sein sachlicher Ton sollte verbergen, dass ihr Misstrauen ihm mehr zusetzte, als es sollte. Außerdem machte Akbar ihm zu schaffen. Der Mann schwieg beharrlich und weigerte sich zu essen und zu trinken und hatte, sobald er kräftig genug war, sich aufzurichten, angefangen, sich die Fäden an Brust und Beinen selbst zu ziehen. Mit einer rostigen Rasierklinge! Kamid hatte überlegt, sie ihm wegzunehmen, aber dann würde Akbar sich die Fäden aus der Haut reißen und noch größeren Schaden anrichten.
Sie schaute ihn nicht an, sondern aß mit gesenktem Kopf weiter.
„Jenny.“ Er wartete, bis sie aufblickte. Im Dämmerlicht wirkten ihre Augen dunkel, das helle Oval ihres Gesichts zeichnete sich scharf vom schwarzen Tuch ab. „Du kannst mir vertrauen, in jeder Hinsicht. Das Schicksal dieser Leute, ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen sind mir ebenso wichtig wie dir. Glaubst du mir das?“
Nachdenklich betrachtete sie ihn. „Ich würde es gern. Sie alle haben schwere Schicksalsschläge erlitten.“ Jenny setzte die Schüssel ab und hob hilflos beide Hände. „Selbst wenn du ein Spitzel wärst, was könnte ich schon tun? An dein Mitgefühl appellieren, dass du ihnen das Leben nicht noch schwerer machst? Dich anflehen, versuchen, dich mit Küssen zu bezahlen? Letztendlich ist es eine Sache zwischen dir und deinem Gewissen.“
Sein Herz schlug schneller, als sie von Küssen sprach, bis ihm aufging, wie erniedrigend ihr Vorschlag war. Vor allem, nachdem er die heißen Küsse von vorhin noch immer schmeckte …
Aber das geschah ihm recht, hatte er sie nicht gestern Abend herausgefordert, ihn mit einem Kuss zu bezahlen? Dennoch traf es ihn, dass sie ihm nicht über den Weg traute. Leider konnte er ihr keinen reinen Wein einschenken.
Noch nicht.
Was allerdings die Küsse betraf, da durfte er offen sein.
„Für deine Küsse gibt es nur eine Währung, mit der man sie bezahlen kann, und das ist Liebe“, sagte er. „Wir fühlen uns zueinander hingezogen, deshalb haben wir uns geküsst. Das wirst du nicht abstreiten können, Jenny, und ich tue es auch nicht. Aber …“
„Es gibt immer ein Aber, nicht wahr?“ Bedauern und Traurigkeit schwangen in ihrer Stimme mit, sodass Kamid Jenny am liebsten in die Arme gezogen … und wieder geküsst hätte.
Stattdessen nickte er nur.
„Ja. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätten wir uns geküsst und diese Anziehung zwischen uns unbeschwert genossen, aber zurzeit wird mein Leben von Verpflichtungen bestimmt, die ich nicht genauer erklären kann. Das heißt, mehr als den Moment, das Hier und Jetzt, haben wir nicht, und ich glaube nicht, dass dir diese Art von Beziehung gefallen wird. Selbst wenn du mir vertrauen würdest.“
Jenny
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