Das Herz der Wueste
Gedanken, Kamid könnte etwas zustoßen.
Immerhin war sie auf dem Weg zu den Kriegern, die Akbars Dorf überfallen und ihn fast zu Tode geprügelt hatten.
Sie erreichten den Rand des Lagers, und zu ihrer Erleichterung standen keine Kamele hinter dem Drahtzaun, sondern es wartete dort ein zerbeulter Jeep.
„Sag ihm, dass ich mich auf sein Wort verlasse – wir wollen freies Geleit zurück ins Lager, und ich will den Jungen“, meinte sie zu Kamid, ehe sie einstieg.
Kamid wandte sich an den Mann, und der hob schließlich die Hand, erwiderte dabei etwas und drängte sie dann in den Wagen. Kaum saß er hinter dem Steuer, startete er durch, und mit hoher Geschwindigkeit ging es durch die mondbeschienene Nacht.
Jenny saß hinten und konnte keine Straße erkennen, aber der Fahrer schien auch keine zu brauchen. Geschickt lenkte er das Fahrzeug durch die Dünen, Sand spritzte unter den Reifen hervor, manchmal rutschte es seitlich weg, doch der Mann behielt stets die Kontrolle. Irgendwann erreichten sie den Fuß der Berge, und bald stieg die Strecke steil an.
„Ich kenne die Stelle hier aus der Zeit, als ich ein Kind war“, meinte Kamid. „Ich glaube, es existiert ein Pfad quer über die Berge zu unserem Lager, eine Strecke von schätzungsweise zehn Meilen. Den muss Akbar genommen haben.“
Der Mann stieß ein paar Worte hervor, die wie ein Befehl klangen. Kamid zuckte mit den Schultern, schwieg jedoch.
Zehn Meilen, das ist zu Fuß zu schaffen, dachte Jenny. Allerdings, über die Berge? Vom Lager aus sahen sie rau und sehr steil aus …
Nach gut einer Stunde tauchten vor ihnen Lichter auf, und der Mann fuhr langsamer. Dies war also das Dorf, in dem die meisten Flüchtlinge gelebt hatten. Dort standen ihre Häuser, und auf den sanft geschwungenen Hügeln hatten sie ihre Ziegen und Schafe geweidet. Das Mondlicht verlieh dem Ort eine wildromantische Atmosphäre. Jenny gefiel es hier.
Wären da nicht die schwarzen Beduinenzelte gewesen, die sie so gut kannte. Vor einem dieser Zelte hielt der Fahrer an.
Jennys Kehle war auf einmal wie zugeschnürt, und sie holte tief Luft, um sich zu wappnen. Ihr Begleiter herrschte Kamid an, der nun ausstieg und Jenny die Tür öffnete. Als sie aus dem Wagen kletterte, drückte er ihr beruhigend die Schulter und blieb dicht bei ihr, während sie zum Eingang des riesigen Zeltes gingen. Seinen starken Körper dicht neben ihr zu spüren, gab ihr Kraft, und sie fragte sich verwundert, wie sie sich in seiner Gegenwart sicher fühlen konnte. Schließlich hatte sie allen Grund, ihm zu misstrauen!
Er blieb nicht lange bei ihr. Ein zweiter Beduine hob die Hand, als Kamid eintreten wollte, und redete so schnell auf ihn ein, dass Jenny nicht ein einziges Wort verstand.
„Dies ist das Frauenzelt“, erklärte Kamid und griff nach ihrer Hand. Merkte er, dass sie Angst hatte? „Unser Freund und ich dürfen es nicht betreten, aber der Anführer hält sich draußen an der Rückwand auf. Wir werden zu ihm gehen, und dann kann ich durch die Plane mit dir sprechen. In Ordnung?“
Fast zärtlich drückte er ihre Finger, sah ihr dabei suchend in die Augen. Sie wollte tapfer sein und nickte nur. Da ertönte ein Schrei im Zeltinnern, und sie entwand sich Kamids Griff, um hineinzueilen. In letzter Sekunde fiel ihr noch etwas ein.
„Hamid“, sagte sie, während sie die beiden Fotos aus ihrer Tasche fischte. „Bring sie dazu, dir den Jungen zu bringen. Er muss bei dir sein, sonst helfe ich ihr nicht, sag ihnen das.“
Natürlich bluffte sie nur, sie würde nie tatenlos danebenstehen, wenn ein Mensch ihre Hilfe brauchte. Aber vielleicht ließ der Anführer sich täuschen.
Das Risiko mussten sie eingehen.
Neben Jenny tauchte eine Frau auf, nahm sie bei der Hand und führte sie ins Zelt. Eine Lampe erhellte eine Szenerie, wie sie seit tausend Jahren überall auf der Arabischen Halbinsel zu finden war: Auf einer Strohmatratze, unter der sich mehrere Matten stapelten, lag, vollständig angekleidet und in Decken gehüllt, eine junge Frau, und um sie herum saßen oder knieten weitere Frauen, die damit beschäftigt waren, ihr die Hand zu halten oder ihr mit feuchten kühlen Tüchern das Gesicht abzuwischen. Der Raum war von ihrem Singsang erfüllt, beschwichtigende, aufmunternde Worte, wie Jenny vermutete.
Die junge Frau war noch sehr jung, eine hinreißende Schönheit, auch wenn sie von der Anstrengung blass war und dunkle Schatten unter den großen schwarzen Augen lagen.
Sie hatte Angst. Jenny hockte
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