Das Herz der Wueste
Schulter. „Schlaf jetzt, Jenny Stapleton, ehe ich auf dumme Gedanken komme.“
Wie sollte sie schlafen, dicht an ihn geschmiegt, wenn seine Wärme ihre Kleidung durchdrang, sein männlicher Duft ihre Sinne verführte? Wenn die Sehnsucht nach Zärtlichkeit übermächtig wurde, körperlich und in ihren Gedanken?
Wie sollte sie schlafen …?
Sie würde an Hamid denken, das Kind, das sie gerettet hatten. Oder retten würden. Jedenfalls hatte Kamid das gesagt. Sie würde daran denken, dass sie beide ihr Leben aufs Spiel setzten für ein Kind, einen Mann, den sie kaum kannte. Sie würde an Kamid denken …
Kamid …
Jenny kuschelte sich dicht an ihn.
„Jenny, du musst aufwachen, aber sei leise.“
Kamid hielt sie im Arm, während er ihr ins Ohr flüsterte, bereit, ihr den Mund zuzuhalten, falls sie einen Laut von sich geben sollte. Der Junge war wach, saß dicht neben dem Mattenstapel und schaute Kamid mit großen Augen an, nachdem er ihm erklärt hatte, was sie tun würden.
„Hörst du mich, Jenny? Ich weiß, dass du müde bist, aber du musst jetzt wach werden.“
Sie regte sich und drehte ihm den Kopf zu. Selbst im Halbdämmer der Höhle schimmerte ihr langes seidiges Haar wie Gold. Sie würde es unter einem Tuch verbergen müssen, denn im Mondlicht wäre es weithin sichtbar.
„Komm, wir brechen auf.“ Er half ihr, sich aufzurichten. „Binde dein Haar fest zusammen, und verstecke es unter deinem Schal. Ich nehme deine Sandalen, wir gehen zuerst barfuß. Deine Tasche lassen wir hier. Unter meine Notizen habe ich geschrieben, dass wir morgen wiederkommen, und wenn sie die Tasche sehen, wissen sie, dass wir es ernst meinen. Außerdem habe ich meine Funkrufnummer notiert für den Fall, dass vor morgen Abend Komplikationen auftreten.“
Noch während er sprach, band sie ihre blonde Mähne zu einem Zopf, fasste widerspenstige Strähnen mit geschickten Fingern zusammen. Danach bedeckte sie den Kopf mit ihrem Tuch und wickelte es so, dass auch die untere Gesichtshälfte verborgen war. Kluge Frau, dachte er bewundernd, sie weiß, dass sie mit ihrer hellen Haut auffallen könnte.
Eine kluge Frau, die er in den Tod führen würde?
Aber hierbleiben durfte sie auch nicht. Wenn er sie zurückließ und das Schicksal es wollte, dass die Frau des Anführers starb, würden sie Jenny töten oder als Geisel nehmen, um Waffen zu erpressen. Der Gedanke war kaum zu ertragen.
Ihm blieb keine andere Möglichkeit, als die gemeinsame Flucht zu wagen.
Er schlich zum Höhleneingang, vergewisserte sich, dass ihr Wächter schlief, nahm Hamid auf den Rücken und bedeutete Jenny, ihm zu folgen.
Wie geisterhafte Schatten suchten sie sich den Weg durchs Dorf, zwischen den Häusern entlang. Gelegentlich rutschte Jennys Fuß von einem Stein ab, oder Kamid streifte einen Zweig, Geräusche, die man sonst kaum wahrnahm, doch in der nächtlichen Stille klangen sie ohrenbetäubend laut. Kamids Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er rechnete damit, dass jemand Alarm schlug, erwartete jeden Moment den Ruf eines Wachpostens.
„Weißt du wirklich den Weg?“ Inzwischen waren sie weit genug vom letzten Haus entfernt, sodass ihr Flüstern nicht von anderen gehört werden konnte.
„Natürlich.“ Eine barmherzige Lüge, aber wozu sollte Jenny sich auch noch Sorgen machen? „Wir befinden uns auf einem Weg, siehst du das nicht?“
„Sieht eher aus wie ein Trampelpfad, von Schafen und Ziegen benutzt, die von ihren Hirten zu höher gelegenen Berghängen getrieben werden.“
Er wandte den Kopf und sah sie lächeln. Es traf ihn mitten ins Herz. Wie konnte sie lächeln, eine Frau in einem fremden Land, mitten in den Bergen, geführt von jemandem, der den Weg vielleicht nicht kannte, möglicherweise verfolgt – und dazu mit der Verantwortung für ein Kind?
Keine Frage, dass er sie bewunderte, aber war es nicht mehr als Bewunderung, was er für sie empfand?
War es Liebe?
„Es gibt eine Abzweigung“, sagte er und behielt seine Gedanken und Gefühle für sich. Einmal ausgesprochen, wären sie Wirklichkeit geworden, und das wollte keiner von ihnen.
Weil es zwischen ihnen keine Liebe geben durfte …
Zügig marschierten sie voran, höher hinauf, und der kleine Junge ging inzwischen selbst. Stumm setzte er einen Fuß vor den anderen, obwohl die dünner werdende Luft dem schmalen Körper sicher zu schaffen machte.
„Zehn Meilen hattest du gesagt?“, fragte Jenny irgendwann. Sie waren an einer Quelle stehen geblieben, und Kamid schöpfte mit
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