Das Herz des Eisplaneten
klopfte Bunny an Yanas Tür. »Ich fahre zur Raumbasis hinaus. Können Sie heute mitkommen?«
Yana hatte nur sehr wenig geschlafen: Erst die Fahrt hinaus zu den heißen Quellen und wieder zurück, dann das lange Aufbleiben, um das Gedicht aufzunehmen. Das wiederum hatte sie über alle Erwartungen angeregt, und so hatte sie keine Ruhe gefunden und sich selbst dafür in den Hintern getreten, daß sie letzte Nacht, da es Sinn ergeben hätte, Sean Shongili nicht konfrontiert hatte. Inzwischen hatte die Begegnung etwas vollkommen Unwirkliches bekommen. Yana war gleichermaßen froh und betrübt darüber, daß er so weit entfernt wohnte: froh, weil sie sich dadurch nicht mit ihm auseinanderzusetzen brauchte; betrübt, weil es dadurch zu keinen zufälligen Begegnungen kommen konnte, so daß sie ihn nicht wiedersehen würde, solange nicht einer von ihnen es wollte.
Egal! Sie hatte Besseres zu tun. Sie stemmte sich aus ihrer Koje und legte eine Uniformbluse an, die noch ihre Dienstgradabzeichen trug.
Von der Drillichjacke hatte sie die Abzeichen auch noch nicht entfernt, und so zog sie sie unter dem Parka an.
»Fühlen Sie sich heute morgen besser?« fragte Bunny vielsagend, als sie auf den Fluß zuhielten.
»Im Gegensatz zu wann?« fauchte Yana.
Bunny wirkte nicht verletzt. Sie lächelte nur und meinte: »Na ja, Sie haben sich doch aufgeregt, weil Sie wegen Giancarlo den Fisch haben anbrennen lassen, und dann…«
»Als Sie gingen, war ich doch ganz in Ordnung, oder nicht? Hätte sich das wieder ändern sollen?«
Bunny löste den Blick von der Uferstraße und musterte sie, dann sah sie wieder zurück. Sie wirkte enttäuscht.
Yana seufzte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Sie hätte es vorgezogen, bis zur Raumbasis durchzuschlafen. »Ich wüßte ganz gern einmal, wer eigentlich Logbuch über mein Tun und meine Gäste
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führt – dann könnte ich die Einträge nämlich vielleicht auch mal richtigstellen, falls erforderlich. Es wäre mir unerträglich, wenn das ganze Dorf sich täuschen würde. Übrigens sollte man Clodaghs Hustenmedizin rezeptpflichtig machen.«
»Er mag Sie wirklich, Yana«, warf Bunny ein.
»Buneka, darüber werde ich mit Ihnen nicht diskutieren«, versetzte Yana entschieden. Sie schmiegte sich in den Sitz und schloß die Augen. Einige schlaflose Momente später fragte sie: »Er ist nicht immer allein gewesen, nicht wahr?«
»Sean? O nein, er hatte eine Menge Freundinnen, als er um die Welt reiste. Einmal hätte er beinahe Charlie Demintieffs Schwester Ruby geheiratet, aber die hat es sich in letzter Minute anders überlegt und statt dessen einen Burschen aus Baff in Point zum Mann genommen.
Und Sie? Jede Menge Freunde?«
»Bunny!«
»Ja, haben Sie denn nun, oder haben Sie nicht? Wir hier wissen eben solche Dinge voneinander.«
»Ich hatte einige Freunde, so kann man sie wohl nennen.«
»Auch etwas Ernsthaftes?«
»Mein Mann«, erwiderte Yana kurz angebunden. Sie verspürte kein Bedürfnis, ihre Erinnerungen an Bry erneut aufzufrischen, nachdem sie erst kürzlich über Bremport gesprochen hatte. Konnten diese verdammten Leute denn überhaupt nichts in Ruhe lassen? Und weshalb hatte sie überhaupt das Gefühl, antworten zu müssen? »Er ist gestorben«, fügte sie knapp hinzu.
»In Bremport?« fragte Bunny fast ehrfürchtig.
»Nein. Nicht in Bremport. Vor zehn Jahren. Bei einem
Shuttledefekt, Bunny. Ich möchte wirklich nicht darüber sprechen.
Also, wie hieß Diegos Freund noch einmal?«
Yanas Verdacht bestätigte sich: Es war etwas völlig anderes, ob man von außen in die Basis gelangen wollte oder ob man vor Ort den Zutritt beanspruchte. An solchen Orten, wo sich auf dem Gelände ohnehin kaum etwas von Wert befand – jedenfalls nach Maßgabe der
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Intergal –, langweilte sich das Personal, wurden die
Sicherheitsbestimmungen nur lax gehandhabt.
»Das ist aber wirklich ein harter, häßlicher Ort«, meinte Yana zu Bunny, als sie vor dem Tor vorfuhren.
Bunnys Handschuh zog einen Bogen um die Anlage. »Früher gab es hier eine Menge kleiner Läden: Bars, Vergnügungsstätten, Geschäfte für die Soldaten. Manchmal brachten sie überschüssige
Ausrüstungsteile mit, die eigentlich nicht gebraucht wurden, und tauschten sie gegen etwas ein, das sie ihren Familien auf anderen Kolonien oder Stationen schicken konnten. Aber vor ungefähr einem Jahr hörte das alles auf, und die Firma ließ den ganzen Korridor planieren. Seitdem kommt man nur noch als Soldat oder mit
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