Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Herz des Jägers

Titel: Das Herz des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
Vom Netzwerk:
Treibsand verloren hatte. Er sah sein Leben jetzt aus einem anderen Blickwinkel, er sah, daß er sich anders hätte entscheiden können. Er sank langsam an der Wand herunter, das Gewicht war zu viel für ihn – all die Schmerzen, der Haß, die Gewalt und der Tod und die tiefe Sehnsucht, frei davon zu sein, verschlangen ihn. O Herr, noch einmal anders wiedergeboren zu werden; er sank auf die Knie und blieb so, Kopf auf der Brust, und tiefes, trockenes Schluchzen erfüllte seinen Körper, immer mehr Erinnerungen überfluteten ihn, bis alles offen vor ihm lag, alles.
    Er spürte die Hand des schwarzen Arztes auf seiner Schulter, und später war er sich bewußt, daß der Mann ihn hielt, daß er sich auf die Schulter des weißen Mantels lehnte, und langsam beruhigte er sich. Der Mann half ihm auf, er stützte ihn, er brachte ihn zurück in sein Bett und zog ihm das Laken bis zum Kinn.
Du bist ein sehr kranker Junge, aber wir kriegen dich schon wieder hin.
    |365| Er hatte geschlafen und gewacht, er hatte mit sich gerungen, mit nackten Fäusten, ehrlich und ehrbar. Aus den blutigen Körpern der Toten ergab sich ein Verlangen – er würde ein Farmer werden, ein Ernährer. Er konnte nicht ungeschehen machen, was geschehen war, er konnte nicht auslöschen, wer er gewesen war, aber er konnte festlegen, wie er nun weitermachen würde. Es war nicht leicht, Schritt für Schritt, eine Lebensaufgabe, und an jenem Abend hatte er reichlich gegessen und die ganze Nacht über nachgedacht. Am nächsten Morgen, noch vor sechs, ging er in Van Heerdens Zimmer, weckte ihn und sagte, er sei fertig mit allem, mit seinem bisherigen Leben, und Van Heerden hatte ihn voller Weisheit angesehen, und deshalb hatte er, erstaunt darüber, wie sehr er unterschätzt wurde, gefragt: »Glaubst du nicht, daß ich mich ändern kann?«
    Van Heerden hatte es gewußt. Er hatte gewußt, was er selbst erst letzte Nacht unter der Brücke im Free State erkannt hatte.
    Er war Umzingeli.
    Zwanzig Kilometer südlich von Mpandamatenga bemerkte Thobela trotz des Fiebers und der Halluzinationen die Bewegungen links von sich. Zwischen Bäumen und Steppengras sah er, wie drei Giraffen wie Gespenster vor der Sonne vorbeihuschten, sie galoppierten, als wollten sie ihn auf seiner Reise begleiten, ihre Köpfe nickten im gleichen Rhythmus wie der seine. Und dann schwebte er neben ihnen, er wurde einer von ihnen, und er empfand die Freiheit, sie war unendlich schön, und er flog immer höher und schaute herunter auf die drei wundervollen Tiere, die immer weiter galoppierten, er flog höher und wandte sich nach Süden und spürte den Wind unter seinen Schwingen, der für ihn sang. Der Wind trug ihn mit sich, alles dort unten war klein und unwichtig, viel Rauch um nichts; er flog über Grenzen, über die Hügel und die leuchtenden Flüsse und tiefen Täler hinweg, die den Kontinent durchschnitten, und weit in der Ferne sah er das Meer, und das Lied des Windes |366| wurde zum Grollen der Wellen, und er schaute von den Steinen am Strand aus zu. Er zog seine Schwingen ein und wartete auf den Moment der Ruhe zwischen dem Donnern und Rauschen, auf den Augenblick der vollkommenen Stille, mit dem er eins würde.

42
    Um Viertel nach zwei begann der Schlaf Tiger Mazibuko zu übermannen, also legte er die Maschinenpistole unter die Gummimatte zu seinen Füßen und stieg zum soundsovielten Mal aus dem Wagen. Wo war der Scheißkerl? Warum war er noch nicht hier?
    Mazikubo streckte sich, gähnte und ging um den Wagen herum, einmal, zweimal, dreimal, er setzte sich auf die Motorhaube, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht, legte die Arme über Kreuz und starrte die Straße herunter. Er rechnete nach. Vielleicht hatte Mpayipheli angehalten, um Mittag zu essen, oder er ließ seine Wunde bei einem Kurpfuscher in Francistown behandeln. Er schaute wieder auf seine Armbanduhr – jetzt konnte es jederzeit losgehen. Er fragte sich, ob der Hund mit Scheinwerfer fuhr, wie es die meisten Motorradfahrer so taten. Wahrscheinlich nicht.
    Schweiß lief ihm den Rücken herunter.
    Er kümmerte sich nicht weiter um den Land Rover Discovery, es waren auch schon andere teure Wagen mit Vierradantrieb vorbeigefahren. Hier war Touristenland, Chobe und Okawango im Westen, Makgadikgadi im Süden, Hwange und Vic Falls im Osten. Die Deutschen, die Amerikaner und die Buren spielten hier Safari in ihren klimatisierten Jeeps und Khaki-Uniformen, und sie glaubten, das trübe Trinkwasser und ein paar

Weitere Kostenlose Bücher