Das Herz des Jägers
obwohl sie Männer waren, obwohl sie Teil des Spiels waren, obwohl jeder von ihnen ein Verräter der Sache war, und was war jetzt überhaupt aus diesem Kampf geworden, diesem nutzlosen Schachspiel? Wo waren die Geister des Kalten Krieges? Alles, was blieb, waren Erinnerungen und Konsequenzen, sein persönliches Erbe.
In ihm war die Leere gewachsen, nur die Äußerlichkeiten änderten sich mit jeder Stadt, in der er sich wiederfand, mit jedem Hotelzimmer. Die Augenblicke des Glücks waren die Reisen zum nächsten Aufenthalt, wo er wieder neu nach einer Bedeutung Ausschau halten konnte, er konnte nach etwas suchen, um das große Loch in sich zu stopfen, um das Monster zu füttern, das in ihm wuchs.
Die Loblieder seiner Herren wurden mit der Zeit immer bedeutungsloser. Zuerst waren sie Balsam auf seiner Seele. Die Begeisterung, die ihnen so geschmeidig von den Lippen troff, überdeckt die Scham. »Sieh nur, was deine Leute sagen«, sagten sie und zeigten ihm Briefe vom ANC in London, der seine Dienste in blumiger Sprache pries.
Dies ist meine Aufgabe
, sagte er sich.
Dies ist mein Beitrag zum Freiheitskampf
, aber er konnte nicht entkommen, nicht in jenen Augenblicken, wenn er das Licht ausschaltete und seinen Kopf niederlegte und dem Zischen der Klimaanlage im Hotel lauschte. Dann hörte er die Stimme seines Onkels Senzeni und sehnte sich danach, einer von Nxeles Kriegern zu sein, die Schulter an Schulter standen, die ihre Speere mit Wucht über den Knien brachen.
|363| NATA, stand auf dem Straßenschild, doch er bemerkte es kaum. Er und das Motorrad waren ein winziger Schatten auf der Hochebene – sie waren eins, sie waren auf der Reise zusammengewachsen, Kilometer für Kilometer hatte sie verbunden, sie waren vollkommen, Motor und Wind verwoben sich zu einem tiefen Dröhnen, einem rhythmischen Rauschen wie von sich brechenden Wellen. »Dein Freund hat heute früh nach dir gefragt«, hatte der Tankwart in Francistown gesagt. Thobela wußte es, er wußte, das war Mazibuko, die Stimme voll Haß. Er hatte den Haß nicht nur gehört, er hatte ihn erkannt. Er hallte in ihm wider, er wußte, daß dies ein weiterer Reisender war – das war er selbst vor zehn oder fünfzehn Jahren, leer und auf der Suche, voller Haß und Frustration, bevor die Einsicht ihn überkam, vor Miriam und Pakamile.
Er lag im Krankenhaus, Van Heerden nebenan, als es passierte, als er sich zum ersten Mal wirklich sah. Danach verging kein Tag, an dem er nicht daran dachte, an dem er nicht versuchte, den Knoten des Schicksals zu lösen.
Er schlurfte spät eines Abends durch den Krankenhausflur, sein Körper immer noch mitgenommen von dem, was Van Heerden und er durchlitten hatten. Er stand in einer Tür und rang nach Atem, das war alles. Es hatte keinen besonderen Sinn, er ruhte nur einen Augenblick aus, er schaute in das Vierbettzimmer, und dort stand neben dem Bett eines weißen Jungen ein Arzt.
Ein schwarzer Arzt. Ein Xhosa, so groß wie er. Vielleicht um die Vierzig; graue Strähnen zeichneten sich an seinen Schläfen ab.
»Was wirst du eines Tages werden wollen, Thobela?« Sein Vater, derselbe Mann, der Sonntag für Sonntag Gottes schreckliche Drohungen mit hocherhobenem Finger und abscheuerfüllter Stimme von der Kanzel schleuderte, fragte dies sanft und zärtlich, um die Angst eines Achtjährigen in der Dunkelheit zu verscheuchen.
»Ich möchte Arzt werden«, hatte er gesagt.
|364| »Warum, Thobela?«
»Weil ich den Menschen helfen will.«
»Das ist gut, Thobela.« In jenem Jahr hatte er Fieber gehabt, und der weiße Arzt war aus Alice gekommen, er betrat sein Zimmer, er roch eigenartig, Mitgefühl lag in seinem Blick. Er hatte seine kühlen, haarigen Hände auf den kleinen schwarzen Körper gelegt, er hatte hier und da sein Stethoskop aufgesetzt, er hatte das Thermometer ausgeschüttelt.
Du bist ein sehr kranker Junge, Thobela
, er sprach Xhosa mit ihm,
aber wir kriegen dich schon wieder hin.
Das Wunder war geschehen, in jener Nacht durchbrach er das weißglühende Fieber und sprang in den kühlen, klaren See auf der anderen Seite, wo seine Welt immer noch altbekannt und normal war, und da wußte er, was er werden wollte, ein Heiler, jemand, der Wunder wahr werden ließ.
Als er da stand und von der Tür aus den weißen Jungen und den schwarzen Arzt betrachtete, dachte er an jene Momente zurück, er hörte sich selbst mit seinem Vater sprechen, und er spürte, wie seine Knie nachgaben, als ihm klar wurde, wie viele Jahre er im
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