Das Herz des Jägers
machen. Seine Eltern. Seine Freunde. Informationen heranschaffen. Wer? Was? Wo? Warum? Wie? Sie mußte ihn kennenlernen, diesen Geist mit unsichtbarem Gesicht.
Mentz verfügte über die dafür notwendigen Mittel – und würde sie nutzen.
Auszug aus dem Transkript des Verhörs von Mr. André Bodenstein, Besitzer von Mother City Motorrad durch J. Wilkinson, am 23. Oktober, 21:55, Oswald Pirow Boulevard, Kapstadt:
W: Was wissen Sie über die vorherigen Beschäftigungen Mpayiphelis?
B: Er hat geputzt.
W: Geputzt?
B: Ja. Für einen Autohändler in Somerset West.
W: Woher wissen Sie das?
B: Er hat es mir gesagt.
W: Was hat er geputzt?
B: Putzen ist putzen. Es bedeutet, daß man die ganze Dreckarbeit macht, die sonst keiner erledigen will.
W: Mehr wissen Sie nicht?
B: Hören Sie mal, ich brauche ja niemanden mit einem Doktortitel, um die Motorräder zu waschen.
W: Und Sie haben ihm einen Schlüssel anvertraut?
B: Nicht am ersten Tag, ich bin ja nicht blöd.
W: Aber später.
B: Verdammt, er saß jeden Morgen schon auf der Treppe, wenn ich kam. Er war nie krank, kam nie zu spät, nahm sich nie |78| etwas heraus. Er arbeitete, Teufel, der Mann kann arbeiten. Letzten Winter habe ich ihm gesagt, er müsse aufschließen, er könne nicht so im Regen herumstehen, er könne anfangen zu fegen und das Wasser aufstellen, und wenn wir kamen, war der Kaffee schon gekocht, jeden gottverdammten Morgen, und der Laden schimmerte wie ein neuer Penny. Man glaubt, man kann jemandem vertrauen. Man glaubt, man kennt jemanden …
Thobela hatte zweimal in Killarney geholfen, als wohlsituierte weiße Männer mittleren Alters an der BMW-Motorrad-Schule lernten, und nun bereute er, nicht besser aufgepaßt und dieses Wissen nicht abgespeichert zu haben.
Der Du-Toits-Kloof-Paß im Dunkeln – er fuhr ungleichmäßig, bremsen und Gas geben, bremsen und Gas geben, und er schaltete das Licht immer zwischen fern und normal um. Er versuchte, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen guter Sicht und dem Gegenverkehr: riesigen, schnaufenden Lastern, die Mautgebühren sparten, indem sie den langen Weg nahmen und die engen Kurven im weiten Bogen durchpflügten oder im Schneckentempo vor ihm herfuhren. Er schwitzte in seinem teuren Motorradanzug, seine Körperwärme ließ das Visier beschlagen, so daß er es immer wieder hochklappen mußte.
Bremsen, Kurve, bremsen, Kurve, Gas geben – er mühte sich und fluchte bis zum Gipfel, und dann kippte die Straße abrupt nach Osten, und die Lichter waren verschwunden. Zum ersten Mal wurde die Dunkelheit allumfassend, und die Straße war plötzlich ruhig und leer. Thobela wurde sich der ungeheuren Anspannung in seinem Oberkörper bewußt, seine Muskeln spannten sich wie Drähte, und er fuhr an den Straßenrand. Er hielt, nahm den Helm vom Kopf, er schaltete in Leerlauf, löste die Hände von den Griffen und reckte sich, er versuchte, tief durchzuatmen.
Er mußte sich entspannen, er war schon jetzt müde, dabei lagen noch Hunderte von Kilometern vor ihm. Er hatte |79| Fortschritte gemacht. Er hatte den halben Paß im Dunkeln hinter sich gebracht. Trotz seiner Ungeschicklichkeit war es nicht unmöglich, mit dem Monster-Bike klarzukommen. Das Motorrad schien Geduld mit ihm zu haben, als wartete es darauf, daß er es noch einmal mit etwas mehr Gefühl versuchte.
Thobela verspürte eine gewisse Befriedigung, er hatte diesen Meilenstein erreicht, er war ganz oben. Das war eine Geschichte, die er Pakamile und Miriam erzählen konnte. Er fragte sich, ob sie schliefen: Die Digitaluhr an der Maschine verriet ihm, daß Miriam die Schulsachen des Jungen herausgelegt hatte, die Kleidung und sein Pausenbrot. Wenn er zu Hause gewesen wäre, hätte sie sein Mittagessen in der Blechdose verstaut, das Haus wäre sauber, die Laken ihres Bettes zurückgeschlagen, und sie würde zu ihm kommen und sich hinlegen und wunderbar nach Öl und Seife duften. Der Wecker war auf fünf Uhr gestellt, dann Licht aus, und ihr Atem wurde sofort tief und gleichmäßig, der Schlaf der Unschuldigen, der Schlaf der Arbeiter.
Hinter sich hörte Thobela einen Lastwagen auf die Kurve zukommen, und er streckte sich ein letztes Mal, er genoß die Nachtluft, er klappte das Visier wieder herunter und startete mit dem Wissen, daß er nun wenigstens mit dem Gashebel klarkam. Er spürte die Kraft unter sich, und dann kam auch schon die nächste Kurve, und er konzentrierte sich darauf, seinen Körper zu entspannen und sich, wie er es auf
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