Das Herz des Jägers
konzentrierte sich nur, wenn von Kriegen die Rede war, und seine Augen glänzten dann vor Kampfeslust.
Es gab vor so vielen Jahren einen entscheidenden Augenblick, als er, Lawrence, seine Ehre in einem nutzlosen Faustkampf gegen einen anderen Jugendlichen verteidigen mußte, einen Unruhestifter, der neidisch war darauf, daß Lawrence der Sohn des Häuptlings war. Mit gemeinen Lästereien wurde er provoziert, und dann versammelten sich die schreienden Kinder in einem Kreis um ihn, und er mußte seine Ehre mit Fäusten verteidigen. Es war, als erhebe er sich über die beiden Jungen, die immer enger werdende Kreise zogen, als schwebe er, als sei er gar nicht wirklich da. Und als die |99| Schläge auf ihn herniederzuprasseln begangen, konnte er die Hand nicht gegen den anderen Jungen heben. Er konnte seine Hände nicht zu Fäusten ballen, konnte weder den Haß noch den Ärger in sich finden, um den anderen zu verletzen oder blutig zu schlagen. Es war ein göttlicher Augenblick, das Wissen, daß er den Schmerz seines Gegners fühlen konnte, bevor er wahr wurde, er konnte lindern, konnte heilen.
Senzeni kam ihm zu Hilfe, sein kleiner Bruder. Lawrence taumelte und blutete im Kreis der Jungen, in seinem Kopf klingelte es nach den Schlägen, seine Augen waren blutunterlaufen, seine Nase blutete, und dann war da Senzeni, ein schwarzer Tornado der Wut, der den anderen Jungen mit gnadenloser Grausamkeit zusammenschlug.
Senzeni wandte sich Lawrence voller Abscheu zu, als es vorbei war; er zögerte noch, seine neue Verantwortung auf sich zu nehmen, und fragte ohne Worte, wie sie Brüder sein konnten.
Lawrence fand den Herrn in der Missionsschule. Er entdeckte in Christus all die Dinge, die er an jenem Tag empfunden hatte. Senzeni sagte, das sei die Religion der weißen Männer.
Von der Kirche erhielt Lawrence ein Stipendium. Auch seine Mutter ermutigte ihn. Er studierte und heiratete und begab sich auf die ewige Reise als ein Jünger hier unter den Mitgliedern seines eigenen Volkes im Kat River Valley. Sein Bruder war immer da, ein Gegengewicht, er würde der nächste Häuptling werden, ein Krieger, der sich nährte an den Gerüchten einer neuen Freiheitsbewegung aus dem Norden, der ebenfalls ein Jünger wurde – ein Jünger der Freiheit.
Und dann war da Thobela.
Der Herr hatte den Jungen voller Absicht erschaffen. Er hatte sich die Vorfahren angesehen und hier ein wenig und dort ein wenig genommen, und er hatte ein Kind in die Welt gesetzt mit der Präsenz seines Großvaters Mpayipheli, der Fähigkeit, zu führen, Entscheidungen zu treffen, die |100| verschiedenen Facetten einer Angelegenheit zu überblicken und schließlich eine Entscheidung zu treffen. Der Herr gab ihm den Körper seines Vaters, großgewachsen, Beine, mit denen er in typisch rhythmischem Schritt über die Hügel der Ciskei laufen konnte, und auch dieselben Gesichtszüge, so daß viele, unter ihnen auch Thobelas Vater selbst, zu Unrecht annahmen, daß er auch ein Friedensstifter sei.
Gott hingegen hatte einen Kämpfer in ihm erschaffen, einen Xhosa-Krieger. Der Herr war in der Blutlinie weit zurückgegangen, bis zu Phalo, Rharhabe, Nquika und Maqoma, so wie es auch bei Senzeni gewesen war, und er hatte Thobela Mpayipheli das Herz eines Jägers gegeben.
In frühen Jahren täuschte seine Ähnlichkeit mit Lawrence alle. »Er ist seines Vaters Sohn«, sagten sie, doch der Sohn wuchs heran, und die Wahrheit zeigte sich. Sein Vater war der erste, der es sah, denn er war Senzenis Bruder. Er kannte die Anzeichen und betete um Gnade, weil er die Konsequenzen fürchtete. Er hüllte den Jungen ein in seine Liebe, um einen Kokon zu erschaffen, in den er ihn sicher halten konnte, aber das war nicht der Wille des Herrn. Zu spät wurde ihm klar, daß dieses Kind seine Prüfung war – zu spät, denn er scheiterte, seine Weisheit und sein Mitgefühl halfen nichts, seine große Liebe für seinen Sohn ließ ihn erblinden.
Es begann mit Kleinigkeiten, mit häuslichen Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn, und von diesen breiteten sich in den folgenden Jahren Wellenkreise aus, wie wenn man einen Kieselstein in einen stillen Teich warf.
Senzeni kehrte nach Hause zurück, um die Gerüchte zu überprüfen, und ihre kämpferischen Herzen erkannten einander, Thobela und sein Onkel; ihre Münder sprachen dieselbe Sprache, ihre Körper dürstete es nach denselben Kriegsgründen, ihre Köpfe lehnten Liebe und Frieden ab. Und Lawrence Mpayipheli verlor seinen einzigen
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