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Das Herz des Jägers

Titel: Das Herz des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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Mannes, der die Tür öffnete, war silbergrau, sein Gesicht wies zahllose tiefe Falten auf, sein hochgewachsener Körper war vom Alter gebeugt, aber in seiner Begrüßung lag nichts als Geduld.
    »Reverend Lawrence Mpayipheli?«
    »Ja.«
    »Mein Name ist Dalindyebo. Ich benötige Ihre Hilfe.«
    »Da sind Sie an den rechten Ort gekommen, Schwester.« Der Pfarrer trat zurück und hielt ihr die Tür auf. Zwei nackte Füße mit hervortretenden Adern waren unter dem burgunderroten Bademantel zu sehen.
    Die Agentin trat ein und schaute sich in dem Zimmer um: Bücherregale an zwei Wänden, Hunderte von Büchern, an den freien Wänden hingen Fotos. Das Zimmer war schlicht, kein Luxus, aber es strahlte eine Atmosphäre der Ruhe und Wärme aus.
    »Bitte, setzen Sie sich. Ich möchte meiner Frau nur sagen, daß sie schlafen gehen kann.«
    »Bitte entschuldigen Sie, daß es so spät ist, Reverend.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen.« Der Pfarrer entschwand durch einen Flur, seine nackten Füße lautlos auf dem Teppich. Die Agentin bemühte sich, die Fotos vom Sessel aus zu betrachten. Der Pfarrer und seine Frau in der Mitte, mit Brautpaaren, in der Kirche, mit allen möglichen Leuten. Auf der einen Seite ein Familienfoto, der Pfarrer jung, groß und |97| hoch aufgerichtet. Vor ihm stand ein Junge von sechs oder sieben Jahren, er schaute sehr ernsthaft, die neuen Schneidezähne sorgten für einen Überbiß. Die Agentin fragte sich, ob das Thobela Mpayipheli war.
    Der alte Mann kehrte durch den Flur zurück. »Ich habe Wasser aufgesetzt. Was führt Sie in mein Haus, Miss Dalindyebo?«
    Einen Augenblick zögerte sie. Plötzlich zweifelte sie an ihren vorbereiteten Sätzen. Irgend etwas strahlte dieser alte Mann aus: Liebe, Leidenschaft.
    »Reverend, ich arbeite für den Staat …«
    Er wollte sich Dalindyebo gegenüber hinsetzen, als er sah, wie sie zögerte. »Fahren Sie fort, mein Kind, haben Sie keine Angst.«
    »Reverend, wir benötigen Informationen über Ihren Sohn. Thobela Mpayipheli.«
    Tiefe Gefühle zeichneten sich auf dem Gesicht des alten Mannes ab. Er selbst stand lange still, als hätte er sich in Stein verwandelt, so lange, daß sie Furcht zu verspüren begann. Dann setzte er sich langsam, als schmerzten seine Beine, und er seufzte tief und schwer.
    »Mein Sohn?« Mit einer Hand berührte er eine graue Schläfe, nur mit den Fingerspitzen, die andere packte die Sessellehne, sein Blick ging ins Nichts. Diese Reaktion hatte sie nicht erwartet. Sie mußte ihre Fragen überdenken, aber im Augenblick mußte sie vor allem schweigen.
    »Mein Sohn«, sagte er, diesmal keine Frage, und seine Hand löste sich von der Sessellehne und schwebte, als hätte sie kein Gewicht, an seinen Mund. Sein Blick ging irgendwo hin, aber er sah nichts in diesem Zimmer.
    »Thobela«, sagte er, als fiele ihm der Name plötzlich wieder ein.
    Es dauerte fast fünfzehn Minuten, bis der alte Mann seine Geschichte zu erzählen begann. Zuerst fragte er, wie es seinem Sohn ginge, was Dalindyebo mit unscharfen Lügen beantwortete. Er entschuldigte sich, um Kaffee zu machen, er |98| bewegte sich wie ein Schlafwandler. Er kam mit dem Tablett zurück, auf das er einen Teller mit Zwieback und Keksen gestellt hatte. Er brauchte eine Weile, um sich zu entscheiden, wo er die Chronik Thobela Mpayiphelis beginnen sollte, und dann berichtete er, erst zögernd, er suchte nach den richtigen Ausdrücken, aber dann begann die Sprache zu fließen und verdichtete sich zu einem Strom aus Worten und Gefühlen, als beichtete er und bat um ihre Absolution.
    Um alles zu verstehen, mußte man mit der vorhergehenden Generation beginnen, sagte er. Mit seiner Generation. Mit ihm und seinem Bruder. Lawrence und Senzeni. Der Taube und dem Falken. Jakob und Esau, wenn man ihm den Vergleich vergab. Kinder des Kat River, der Armut, ja, der Einfachheit, aber voller Stolz, Söhne eines Häuptlings, die das Vieh bewachen mußten, die nächtens am Feuer die Kultur der Xhosa lernten, die zu Füßen der Grauhaarigen die Geschichte der Menschen hörten, die die Xhosa-Initiation erfuhren, bevor diese nur noch der Ausbeutung der Armen diente. Von Anfang an gab es einen Unterschied zwischen ihnen. Lawrence, der ältere, der Träumer, der große, schlanke Junge, der klügere, der den anderen in der Missionsschule mit nur einem Klassenzimmer immer einen Schritt voraus war, der Friedensstifter. Senzeni, kleiner, muskulöser, ein Kämpfer, ein geborener Soldat, ungeduldig, heißblütig,

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