Das Herz des Loewen
Stundenlang hatte sie zusammen mit Lady Mary ein kompliziertes Muster aus Goldblättern und Staubperlen auf die Borten am Hals und am Saum gestickt. Doch die Arbeit war ihr nicht zu viel geworden, ebenso wenig die Mühe, die sie auf das bernsteingelbe Brautkleid verwendet hatte. „Die Goldstickerei betont dein blondes Haar, und das Blau lässt deine helle Haut wie Milch schimmern.“
„Ja, sehr schön, aber ...“ Megan saß vor dem Kaminfeuer und runzelte die Stirn. „Zeig mir noch einmal das rote Bliaut.“ Sie stand auf und stieß einen spitzen Schrei aus, als der Holzkamm in ihrem feuchten Haar hängenblieb.
„Wenn Ihr nicht endlich still sitzt, werdet Ihr kahl sein, noch ehe wir fertig sind“, schimpfte eine rundliche grauhaarige Frau, die seit vielen Jahren Megans Zofe war.
Seufzend sank Megan auf den Stuhl zurück. „Warum dauert gerade heute alles so lang? Wieso geht so viel schief?“ Chrissy schaute über das Bett hinweg und wechselte einen wissenden Blick mit Lady Mary. Auf der Tagesdecke häuften sich Gewänder in allen Farben, seit dem Morgengrauen anprobiert und wieder verworfen, weil sie Megans Ansprüchen nicht genügten.
Lächelnd legte die Brautmutter ein burgunderrotes Bliaut beiseite, das sie zusammengefaltet hatte. „Das bildest du dir nur ein, weil du so angespannt bist, Liebes.“
„Ich bin nicht angespannt, ich friere.“ Zitternd verschränkte Megan die Arme über ihrem dünnen Leinenhemd. „Was glaubst du, hat Ross mein Geschenk schon gesehen?“
„Vor einer Stunde kam Janet zurück und berichtete, sie habe die Kleidungsstücke seinem Knappen übergeben“, erwiderte Lady Mary.
„Vielleicht passen sie ihm nicht.“ Besorgt runzelte Megan die Stirn. „Oder sie gefallen ihm nicht.“
„Da möchte ich ihm aber etwas anderes raten, nachdem du die halbe Nacht geopfert hast, um die Sachen fertigzunähen.“
Wehmütig lächelte Megan. „Könnte ich besser mit Nadel und Faden umgehen, hätte ich die Arbeit schon eher beendet.“
„Umso mehr sollte er deine Mühe würdigen. Aber die Männer sind nun mal undankbare Geschöpfe. Eine Frau schenkt ihrem Gemahl die besten Jahre ihres Lebens, gebiert ihm Kinder, kocht für ihn, wärmt sein Bett, und was geschieht? Wenn sie ein bisschen älter wird, lässt er sie einfach fallen. “
„Oh Mama ...“ Megans Augen schwammen in Tränen.
„Nun musst du dich endlich für ein Gewand entscheiden, Megan“, mischte Chrissy sich hastig ein, um einer sentimentalen Szene zuvorzukommen.
Gerade an diesem Tag durfte Lady Marys unglückliche Ehe die Tochter nicht belasten. Es war schon schlimm genug, dass Megan glauben musste, Ross würde sie nur gezwungenermaßen heiraten. Allerdings hatte Owain behauptet, die Braut würde seinem Herrn viel mehr bedeuten, als dieser sich selbst eingestehe. Inständig hoffte Chrissy, der Waliser hätte dessen Empfindungen richtig beurteilt. „Ich würde das Blaue vorziehen. Was meinst du, Tante?“
Lady Mary schluckte ihre Tränen hinunter und nickte. „Vielen Dank, Chrissy“, murmelte sie, während eine Dienerin das Bliaut zu Megan hinübertrug. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist.“
„Natürlich zerrt die Aufregung an deinen Nerven. Wir sind alle ein bisschen durcheinander.“
„Wenigstens heute müsste Eammon sich aufraffen und herunterkommen. Wenn er seine Tochter an ihrem Hochzeitstag enttäuscht, werde ich ihm das nie verzeihen.“
„Es wäre ein Verbrechen, wenn er nicht einmal an ihrer Vermählung teilnähme.“ Seufzend betrachtete Chrissy ihre glückstrahlende Cousine. „Sie liebt Ross Carmichael.“
„Ja, bedauerlicherweise - denn er erwidert ihre Gefühle nicht.“
„Sicher wird er sie mit der Zeit lieben lernen. Owain sagte, manchmal wisse Carmichael selber nicht, was er wolle.“
„Alle Männer wünschen sich Kinder, vor allem männliche Erben.“
„Oh Tante, das habe ich ganz vergessen!“ Wie Chrissy bedrückt erkannte, hatte sie die furchtbare Erinnerung an jenen anderen, vom Unfall verursachten Schaden absichtlich verdrängt. Sie warf einen raschen Blick zu Megan hinüber. „Wirst du mit ihr reden?“
Lady Mary schüttelte den Kopf. „Dafür bin ich zu feige. Ein paarmal fing ich damit an, aber sie fand bisher so wenig Glück in ihrem Leben. Und sie war immer so tapfer. Ich kann einfach nicht ... “
„Aber sie sollte die Wahrheit erfahren. Solange wir glaubten, sie würde niemals heiraten, spielte es keine Rolle, doch jetzt ...“
„Viele Frauen bekommen
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