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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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schnell und hart erwidert, und vor zwei, drei Tagen hätte das völlig gereicht, aber jetzt liegt zu viel Schnee, zu viel Wind, zu viel Berg und zu viel Tod, Ungewissheit und zerbrechliches Leben aus den letzten vierundzwanzig Stunden zwischen ihnen. Darum hat der Junge nachgebohrt: Mag sein, aber ich frage trotzdem. Und es war gut, dass er das getan hat. Wenn niemand nachfragt, schließen wir uns in unserem Schweigen mit all seinem Schmerz ein, das sich mit den Jahren in Einsamkeit, Bitternis und einen schweren Tod verwandelt. Jens hat geflucht und sich mühsam aufgerichtet wie ein alter Mann. Du siehst doch, was mit mir los ist. Als ob das als Erklärung reichen würde, aber der Junge hat noch ein drittes Mal gefragt, als kenne er keine anderen Worte oder würde nichts kapieren: Ist es wegen Salvör?
    Jens hat geschwiegen. Was sollte er auch sagen, wie hätten denn Worte all das ausdrücken können, was in ihm tobte? Der Junge stand noch immer am Fenster, gegen den Rahmen gelehnt, und wartete ganz ruhig ab. Er hat gewusst, dass er warten musste.
    Ihr Mann hat getrunken und sie misshandelt, hat Jens schließlich gesagt und auf seine Hände geblickt. Wie kann man Hände, die so etwas tun, von solchen unterscheiden, die so etwas nie tun würden? Wie unterscheidet man einen Menschen, der einen hintergeht, von einem, der einem treu bleibt?
    Der Junge schaut zur Schlucht hinauf, er ist allein im Freien, Schweigen über allem, die Kinder sind verschwunden, mit ihnen die Stimmen, die Lebensfreude und vielleicht auch das Licht, scheint die Luft über den Bergen dunkler zu werden? Wind stöbert im Schnee, wirbelt ihn auf, dreht Schleier aus ihm, die gleich wieder zu Boden sinken.
    Ich kenne dich, du durchsichtiger Teufel, sagt der Junge laut zum Wind. Er lässt den Blick über die Berge Richtung Nes schweifen, wo vier Kinder Ásta und Hjalti vermissen und auf den warten, der nicht mehr zurückkehren wird, wo Bjarni auf dem Bett sitzt, sich eine Handarbeit vornimmt oder seine Mutter wäscht, die so viel verloren hat, ihren Mann, Freunde, Geschwister, die Kindheit, fast das ganze Leben, Erinnerungen, das Gedächtnis. Sie öffnet den Mund, dieses schwarze Loch, wenn ihr Körper nach Essen verlangt, und ein schwacher Schauer durchläuft ihn, wenn sie sich an etwas erinnert, auch wenn sich unter der Bürde des Gedächtnisverlusts das Bewusstsein kurz zurückmeldet, zittert sie leise. Genauso aber zittert sie, wenn sie abführen muss, wenn sie Kaffee haben möchte oder Bjarni sie anhebt wie ein Bündel altes Heu. Er hat starke Arme und kann in schwerem Wetter und auf See Menschenleben retten, aber sie sind nicht kräftig genug, um seine Kinder zu umarmen, nicht stark genug, um zu trösten.
    Der Junge hat die Häuser erreicht, acht Gebäude, jedes für sich, aber alle doch so nah beieinanderstehend, dass sie den Wind abbremsen und dafür sorgen, dass sich der Schnee zu Wehen anhäuft. Die Häuser sind klein und so von Schnee verklebt, dass die Fenster kaum zu sehen sind, und sie erinnern an groteske Tiere, die im härtesten Winter im Freien gelassen wurden. Eines hebt sich jedoch von den anderen ab, es ist etwa so groß wie das Haus des Arztes, hat auch zwei Stockwerke, steht ganz unten am Ufer, und Eiszapfen hängen wie lange Reißzähne von seiner Traufe. Der Junge sieht das rot gestrichene Schild erst, als er auf seinem Weg zum Strand nah am Haus vorbeigeht, er bleibt stehen, als er über dem Eingang gelbe Buchstaben durch eine Schicht Schnee schimmern sieht: KAUFLADEN . Da fällt ihm der Zettel von María an der Winterküste wieder ein. Bücher für fünf Kronen solle er, der Junge, aus dem Kaufladen von Sléttueyri mitnehmen und anschreiben lassen. Was heißt, der Zettel ist ihm eingefallen? Natürlich hat er ihn nicht vergessen. Wie hätte er María vergessen können, ihren Hunger nach Büchern und auch, wie sie ihren Mann Jón betrachtete, als wäre die Welt schön, solange sie ihn ansah. Wie kann die Welt aber schön sein, wenn das eigene Leben unter Schnee begraben liegt, wenn ein Kind gestorben ist und das andere hustet, viel zu viel hustet? Kann die Welt unter solchen Umständen schön sein? Woher nimmt sie die Kraft, sich nicht unterkriegen zu lassen? Er aber hat den Zettel verloren. Ihm wird etwas Wichtiges anvertraut, und er verliert es!
    Er geht am Haus entlang weiter zum Ufer, bleibt an seinem Rand stehen und schaut über den Strand. Es ist ein Kiesstrand, günstig für eine Landung, denn es ist leicht, die Boote

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