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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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obwohl er mich auch schon mit anderen Namen bedacht hat, nicht immer freundlichen, daher auch Hel. Sie legt die Jacke weg, breitet eine Decke über den Mann und streicht ihm über den Kopf wie jemand, der etwas liebkost, was er sehr gern hat. Der Junge sieht weg. Hildur öffnet mit einem Schlüssel eine Schublade in einer großen Kommode und nimmt eine Leine heraus, schlingt das eine Ende um ein Bein des Mannes und befestigt das andere an einem der stabil wirkenden Füße der Kommode.
    Der Knoten ist nicht leicht aufzubekommen, stellt der Junge fest, nachdem sie ihn schnell und sicher festgezurrt hat.
    Sigurður kennt sich mit Knoten nicht aus, sagt sie, erhebt sich und betrachtet den gefesselt Schlafenden. Kommt es dir nicht seltsam vor, dass ich ihn anbinde?
    Doch, eigentlich schon, antwortet der Junge, und beide betrachten den Mann, der seinen Rausch ausschläft.
    Aber du stellst keine Fragen. Bist du nicht neugierig?, erkundigt sie sich, als der Junge nichts weiter sagt. Oder ist es da, wo du herkommst, allgemein üblich, Leute anzubinden?
    Nein, zumindest nicht mit einer Leine, außer Hunde und Schwachsinnige.
    Die Frau sieht den Jungen verstohlen an. Beide sind gleich groß. Ihre Mundwinkel sind nicht mehr herabgezogen, und so sieht sie unter ihren müden Gesichtszügen fast gut aus.
    Wenn Sigurður aufwacht, will er etwas zu trinken, und er wird alles tun, um an das Zeug zu kommen. Hier im Fjord gibt es aber keinen Alkohol mehr, außer bei den Norwegern in der Walstation. Er wird dahin gehen, egal, ob tagsüber oder nachts und bei jedem Wetter. Die Norweger scheinen immer genügend schlechten Fusel vorrätig zu haben, und es macht ihnen Spaß, ihn abzufüllen. In dem Zustand ist ihm völlig gleichgültig, was man mit ihm anstellt. Beim letzten Mal ist er in strömendem Regen auf allen vieren nach Hause gekommen – es sind fünf Kilometer, und viel Haut hatte er nicht mehr auf den Knien –, und sie hatten ihm einen Hundekopf auf den Hintern gemalt. Viele fanden das komisch.
    Ich kenne auch Leute, die darüber gelacht hätten, sagt der Junge und denkt an Einar mit dem rabenschwarzen Bart aus der Fischerhütte, und der Hass lässt seine Stimme zittern.
    Ja, sagt sie und mustert ihn, dann blicken sie wieder auf Sigurður, der sein Gesicht abgewendet hat, als würde er sich schämen.
    Es kommt mir so vor, sagt der Junge, nachdem er lange geguckt und Mut gesammelt hat, als würde ich sein Gesicht kennen. Das von Sigurður meine ich, als hätte ich ihn schon einmal gesehen, aber das kann ja nicht sein, bestimmt nicht, endet er und beißt sich auf die Lippen.
    Hildur wirft ihm einen misstrauischen Blick zu. Willst du damit sagen, dass du nicht weißt, wer er ist?
    Ja, ich weiß bloß, dass er dein Mann ist und wahrscheinlich den Handelsposten hier führt.
    Und du bist wirklich hier, weil du dich für Bücher interessierst?
    Ja, sagt er erstaunt.
    Sie sieht ihn an, streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht, ihr Haar fängt an, grau zu werden.
    Ich dachte, du wolltest dich bei Sigurður nur lieb Kind machen, das tun die Leute nämlich gern, sie wollen ihn für sich einnehmen und ihn erweichen, bei ihm anschreiben lassen zu dürfen, indem sie Interesse an Büchern heucheln, und es gelingt ihnen immer wieder, so gut, dass er wohl bald entlassen wird, mit Friðrik ist in dieser Hinsicht nicht zu spaßen. Du bist aber nur gekommen, um Bücher zu kaufen?
    Er nickt. Am liebsten Neuerscheinungen, also welche aus jüngerer Zeit, meine ich, und Literatur soll es sein.
    Davon haben wir nicht viel, der Arzt und seine Frau sind die Einzigen, die so etwas kaufen. Da haben wir nur dieses eine Bändchen von Sigurðurs Bruder, ich glaube, ein Exemplar haben wir noch.
    Da geht dem Jungen ein Licht auf, das Gesicht, woher er diese Züge kennt. Pálsson, platzt es aus ihm heraus. Jetzt wird es mir klar!
    Er starrt den bewusstlos betrunkenen Mann an, geradezu begeistert saugt er seine Anwesenheit in sich auf, das ist der Bruder von Gestur Pálsson, noch nie ist er einem Schriftsteller so nah gekommen wie in diesem Augenblick. Sigurður murmelt etwas, dann krümmt er sich zusammen, und schon steht Hildur mit einer Schüssel in den Händen am Bett und schafft es, den Großteil des Erbrochenen aufzufangen. Sigurður würgt mit aufgerissenen Augen.
    Hildur, sagt er schwach, fast wimmernd.
    Ja, sagt sie.
    Ist es schlimm?
    Ziemlich, würde ich sagen.
    Er lässt sich zurücksinken.
    Hast du mich festgebunden?
    Ja, Sigurður.
    Das ist nicht

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