Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
und die weißen Berge mit ihren schwarzen, harten Felsbändern. Wie kann man in einem Land überleben, in dem der erlösende Frühling die Schwachen tötet? In dem sich ein langer, dunkler Winter wie eine Schraubzwinge um das Gemüt der Menschen legt und der helle Sommer oft genug enttäuschend ausfällt. Wer steht so etwas durch? Zähe Menschen und sehr tapfere, vereinzelt aber auch solche, die von Selbstmitleid erfüllt sind und einen Hang zur Selbstverliebtheit, aber auch starke Träume haben?
Die Kirche ist recht neu, aus Holz und von einer ansehnlichen Größe. Zwei magere Hunde stehen unruhig vor der Tür, jaulen leise und schauen nicht auf, obwohl sie den Jungen mit Sicherheit hören. Das ist ungewöhnlich. Vielleicht sind sie sehr gläubig, denkt der Junge, aber da hören sie zu jaulen auf, spitzen die Ohren, fixieren die Türklinke und versuchen, in die Kirche zu schlüpfen, sobald sich die Tür öffnet. Es ist der Pastor, ein alter Mann. Er versucht, die Hunde zu verscheuchen, aber sie hören nicht auf ihn, und als sie unbedingt in Gottes Haus wollen, versetzt er dem aufdringlicheren von beiden einen Tritt.
Elende Köter, sagt er wütend, doch seine Stimme ist alt und verträgt die Aufregung schlecht, fast bricht sie. Lasset die Kindlein zu mir kommen, denkt der Junge, als der Pfarrer die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen hat, aber lasst die verdammten Tölen draußen. Der Geistliche schaut zur Seite und sieht den Jungen nicht.
Ist es fertig?, fragt er zwei Männer, die in diesem Augenblick mit Spitzhacke und Schaufel um die Ecke der Kirche kommen.
Die Hunde trotten auf den Jungen zu. Wer nicht in die Kirche gelassen wird, hat kaum Besseres zu tun, als einen neuen Geruch zu untersuchen. Der Hund, der vom Pastor den Tritt erhalten hat, sieht zu dem Jungen auf und wedelt mit dem Schwanz, den Tritt scheint er vergessen zu haben. Ob es eine Tugend oder ein Zeichen von Schwäche ist, eine Demütigung sofort wieder zu vergessen? Die Männer geben etwas zur Antwort, gucken aber zu dem Jungen hinüber. Da dreht sich auch der Pastor um und macht zuerst ein überraschtes oder sogar verdattertes Gesicht, fasst sich aber schnell wieder und sagt: Ach, du musst einer von den beiden Männern sein, und zwar der jüngere.
Der Junge nickt und zieht einen Handschuh aus, um den Hund hinter den Ohren zu kraulen, dann fängt es an zu schneien. Große, daunenweiche Flocken schweben zur Erde, füllen das Himmelsgewölbe mit weißen Träumen, und die dunkle Kleidung des Pfarrers wird ebenfalls weiß.
Sie haben für die selige Ásta das Grab ausgehoben, sagt der Alte und weist mit dem Kopf auf die beiden Männer mit ihren breiten Gesichtern und traurigen Zügen, die beide den Jungen anstarren. Der Pfarrer tritt auf ihn zu, legt ihm die Hand auf die Schulter, und der Junge nimmt einen alten, mit Tabak durchsetzten Geruch wahr, die blauen Augen des Pfarrers sind auffallend hell, manche Augen von alten Menschen werden so, vielleicht weil sie dem Tod schon näher stehen als dem Leben und die Helligkeit der Welt in sich aufsaugen, ehe der Mensch in die Nacht hinter dem Leben eintritt. Der Pfarrer mustert voller Güte und Mitleid das Gesicht des Jungen.
Kommst du, um für sie zu beten?, fragt er, und der Junge nickt, weil er sich nichts anderes traut, als zu lügen. Das ist ein schöner Gedanke, sagt der Pfarrer, ein schöner Gedanke, und er klopft ihm müde auf die Schulter. Sie wird morgen beigesetzt. Es wäre vielleicht besser, zu warten, bis das Tauwetter und der Frühling den ärgsten Frost vertrieben haben, aber Ásta hat es eilig, in die Erde zu kommen, sie ist zweimal im Traum zu mir gekommen. Zweimal, mein Junge. Seine Hand liegt noch auf seiner Schulter, vielleicht ist sie froh, irgendwo einen Ort zum Ausruhen zu haben. Das erste Mal in der Nacht, in der ihr oben vom Berg gekommen seid, da wusste ich noch gar nicht von ihr, und dann noch einmal vergangene Nacht. Manchmal spricht der Herr durch Träume zu uns, und der Mensch lebt, um Gottes Willen zu erfüllen. Außerdem können wir sie nicht länger in der Kirche verwahren. Pass auf, dass die Hunde nicht hineinkommen. Der Geruch ist noch nicht stark, aber stark genug, um sie verrückt zu machen. Warum wirft ihnen denn keiner was zu fressen hin? Wenn es nicht anders geht, verjage sie mit ein paar Tritten!
Er hebt die Hand, lässt sie wieder auf die Schulter fallen, wiederholt das mit den Hunden noch zweimal und sagt schließlich, der Junge solle sie mit Tritten
Weitere Kostenlose Bücher