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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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blutleer waren, dass sie ganz weiß wurden, vielleicht nahmen sie dadurch Schaden und müssen amputiert werden. Helga hat scharfe Messer. Vier Stunden später, um fünf, kam Helga noch einmal, nicht mit einem Messer, um die Sehnsucht abzuschneiden, sondern mit Kaffee und Cognac. Sie tranken nicht viel, aber doch etwas. Die Sonne erwärmte bereits die Luft und trocknete den Tau, die Fliegen begannen zu summen, wir kamen aus den Häusern, und der dunkle Kiel zerschnitt das Morgenlicht.

XVII
    Man gewöhnt sich an alles, muss sich gewöhnen, leider und Gott sei Dank! Das Leben geht unaufhörlich weiter, nichts scheint es aufhalten zu können, kein Meteoritenhagel, weder Gottes Zorn noch Naturkatastrophen oder menschliche Grausamkeit. Schiffe kommen und gehen, Kutter, norwegische Walfänger, die nach Tran und Profit stinken, große Segelschiffe, schnaufende Dampfer, sie alle kommen und gehen und umfahren einfach den Rumpf der St. Louisa . Die Hoffnung kommt auch, voll beladen mit Fisch, wirklich randvoll, es sind zwar eher kleine Dorsche, aber Fisch ist Fisch, besonders wenn es sich um Dorsch handelt. Jeder Mann an Bord hat ein Lächeln auf den Lippen, diese hartgesottenen alten Kerle mit ihren wettergegerbten Gesichtern, runzlig vom Salzwasser, grinsen von einem Ohr zum anderen; ist ja auch schön, nach Hause zu kommen, und sei es nur für eine Nacht, bis der Fang angelandet ist; da bleibt Zeit, den Enkelkindern über die Köpfe zu streichen und die Frauen zu umarmen, obwohl die inzwischen ebenso alt sind wie die Männer selbst, es ist lange her, dass man von schönen Händen sprechen konnte oder gar von zarten, weichen. Die Brüste hängen, erinnern an Vögel, die alle Hoffnung aufgegeben haben, jemals wieder zu fliegen. Die Männer selbst haben nur noch wenige Zähne, aber es ist immer noch genauso schön, miteinander zu schlafen, wie vor dreißig Jahren, vielleicht sogar schöner, obwohl es bestimmt kein erhebender Anblick ist, zwei alte, steife Karkassen zu beobachten, die sich aneinander reiben. Doch manchmal ist dem, was wir sehen, einfach nicht zu trauen, unsere Augen können so dumm sein, außerdem hat keiner zuzusehen; was wir nur für uns tun, geht keinen etwas an.
    Schnell taucht Snorri auf, begleitet von Björn und seinem Sohn Bjarni. Sie haben den halb leeren Laden geschlossen und ein in Schönschrift verfasstes Schild ans Fenster gehängt: »Die Hoffnung ist da! Wir öffnen bald.«
    Sie gehen an Bord und begrüßen die Männer.
    Morgen früh, sagt Snorri, bringen wir etwas Leckeres mit, gibt reichlich davon, und vielleicht haben wir auch noch etwas, um es runterzuspülen.
    Am nächsten Morgen haben Snorri und Vater und Sohn reichlich zu tun, sie machen die Bordverpflegung fertig, Seevogeleier, die Snorri den Bauern von der Küste ganz im Norden abgekauft hat, Eier, die er kühl aufbewahrt, Fleisch, das sie gekocht und beiseitegestellt haben, genügend Wasser und haltbare Kekse, hart und ohne Geschmack, all das kommt frühmorgens mit aufs Schiff, so früh, dass der blaue Himmel über ihnen noch leise atmet und das Dasein sie wie eine Umarmung aufnimmt. Die Hoffnung schaukelt ganz leicht und kaum wahrnehmbar am Kai und fiebert schon darauf, wieder in See zu stechen, genau wie Brynjólfur, der die Leckereien entgegennimmt. Sie plauschen ein Weilchen miteinander, der Schiffsmast ragt in die reine Sommerluft. Snorri klopft Brynjólfur auf die Schulter. Der hat zu Hause kaum geschlafen, er lag neben Ólafía, die ein ganz kleines bisschen schnarchte, zweimal einen fahren ließ und genauso oft seufzte, aber nicht wie eine stämmige, verbrauchte und etwas gealterte Frau, sondern wie ein Mädchen oder wie ein kleines Hündchen, das verängstigt ist und jemanden vermisst. Kurz darauf war Brynjólfur aufgestanden und zum Schiff gegangen, da bekam er dann den aufmunternden Klaps von Snorri auf die Schulter, der, wie sich zeigt, einen Flachmann in der Tasche hat. Brynjólfur bekommt einen Schluck und entdeckt das helle Sommerlicht. Anschließend machen sich Snorri und seine beiden Begleiter auf den Weg zur Bäckerei.
    Vater und Sohn warten draußen im sonnenbeschienenen Morgen und sehen den Frauen zu, wie sie den Salzfisch vom Stapel nehmen und an die Gestelle auf dem Areal von Leós Handel hängen. Die beiden tragen ihre abgenutzten Sachen und sehen ein wenig müde aus. Torfhildur, ihre Frau und Mutter, ist seit bald vier Wochen kaum mehr aus dem Bett gekommen. Es sei nur Übelkeit, behauptet sie, eine Unpässlichkeit

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