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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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kleinen Gruppen beisammen und gucken.
    Sieht aus, als ob das Schiff feststeckt, es bewegt sich kein bisschen, sagt einer, der schon zur See gefahren ist.
    Da kommt der Junge angerannt, und die Stimmung schlägt um. Er läuft in die Menge hinein, in die Anwesenheit des Todes, und alle schauen ihn an. Gesichter kann er nicht unterscheiden, die Menge ist eine gesichtslose Masse für ihn, die ihn ansieht, und er fragt daher alle und keinen.
    Was ist mit der Besatzung? Ist es ganz sicher, dass keiner überlebt hat?
    Zuerst antwortet ihm niemand, manche gucken in die Luft, andere zu Boden, bis sich ein Mann, der ihm mit zwei Kollegen am nächsten steht, zweimal räuspert und ausspuckt.
    Hat sie dich geschickt, um zu fragen?, erkundigt er sich und blickt wie auf der Suche nach Rückendeckung seine Kollegen an. Er bekommt sie. Der Junge antwortet nicht auf seine Frage, als hätte er sie gar nicht gehört, sondern schaut nur den Mann an, der daraufhin sagt: Nein, mein Junge, wahrscheinlich wirst du ihr jetzt genügen müssen, bis der nächste Kapitän aufkreuzt. Hat sie dich nicht auch deswegen zu sich genommen?
    Der Hass, der in dem Jungen aufwallt, ballt sich zu Fäusten, aber sagen kann er nichts, weil ihm die verdammten Worte im Hals festsitzen.
    Auch wenn du dümmer bist als ein Dorsch, Guðmundur, sagt da eine Frauenstimme an der Seite des Jungen, solltest du wenigstens so viel Grips und Anstand haben, einem gerade Ertrunkenen ein Mindestmaß an Respekt zu erweisen. Wenn du einen Hund hättest, würde er sich für dich schämen.
    Was denn, was denn, protestiert Guðmundur, man wird doch wohl noch einen Scherz machen dürfen. Er rückt etwas dichter an seine Kumpel heran.
    Der Junge sieht die Frau an und versucht ihr mit einem Blick zu danken. Bryndís heißt sie, war zweimal verheiratet, hat beide Männer auf See verloren und steht jetzt mit drei Kindern allein da, aber sie kommt erstaunlich gut durch, was einige kaum begreifen können.
    Sie sind alle ertrunken, sagt sie sanft zu dem Jungen.
    Ihre Blicke begegnen sich. Manche lernen nie die Menschen kennen, die sie kennenlernen sollten.

XV
    Was glaubst du, wie hier die Sonne scheinen kann! Zwischen den Bergen heizt es sich so auf, dass die Felsen zu schwitzen beginnen wie die Frauen beim Fischsäubern in ihrem Ölzeug. Am liebsten würden sie alles ausziehen, jeden Faden am Leib, wenn sie sich trauen würden. Mit dem Licht kommt die viele Arbeit. Der Schlaf wird so weit reduziert, wie es jeder kann, das Leben füllt jede Stunde aus, und nicht einmal der Tod kann uns stören. Er tat es aber doch, in jenen gut zwanzig Tagen, die es kostete, die heilige Louise wieder aufzurichten. So lange lag uns der dunkle Rumpf vor Augen, als lauerte der Tod dort im Wasser, die bohrenden Augen gleich unter der Wasserlinie.
    »Die Leichen der Matrosen und des Steuermanns wurden in Eyrarhlíð angetrieben, die des Kapitäns ist noch nicht gefunden worden.« – Die Matrosen und der Steuermann wurden aufgefischt, Tischler Jón zimmerte Särge für sie, und es ist ein Brief nach England unterwegs, abgefasst in leidlichem Englisch. Polizeimeister Lárus hat Þórunn, die Frau von Ketill dem Fotografen, um Hilfe gebeten. Das Paar hat viele Jahre in England gelebt, kennt einen anderen Himmel als den von den Bergen geprägten und dementsprechend andere Umgangsformen. Der Brief, aufgesetzt von Lárus und Þórunn und unterzeichnet vom Tod, ist unterwegs zum Reeder in Hull. Die Leiche von Kapitän John Andersen wurde noch nicht gefunden, er ist nicht aus seiner Kajüte herausgekommen, treibt noch reglos unter Wasser, der Kater vermutlich wie ein Satellit in seiner Nähe.
    Þjóðviljinn erwähnt die Katze nicht mit einem Wort, dabei war es doch noch fast ein Kätzchen, voller Lebensfreude und Sonnenschein. Auch im Brief nach Hull wurde es mit keinem Wort erwähnt, obwohl die jüngste Tochter es mit viel Eifer und Fingerspitzengefühl für ihren Vater ausgewählt hatte. Sie hatte lange gesucht, bis sie dieses schwarze Kätzchen mit den schneeweißen Vorderfüßen und den absolut unwiderstehlichen Äuglein fand. Unwiderstehliche Augen, die sich mit Angst füllten, als das Heulen des Sturms plötzlich zu einem Gebrüll wurde, als würde die Welt entzweireißen. In den Häusern wachten Leute auf, drehten sich auf die andere Seite und schliefen wieder ein. Der Junge lauschte, brummte etwas von Regentropfen und schlief auch wieder ein, die verängstigte Katze rollte sich zusammen, beruhigte sich aber,

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