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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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    Die beiden haben ihr Plundergebäck verzehrt, Snorri isst das seine, wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab und sagt: Ich bin pleite.
    Alle drei blicken den Rumpf an.
    Ich habe alles verloren, sagt Snorri, morgen oder übermorgen wird die Hoffnung einen anderen Eigner haben, und das, was vom Laden übrig ist, einen neuen Besitzer. Was aus mir wird, weiß ich nicht, sagt er, aber ich will versuchen, euch Arbeit zu beschaffen.
    Mama geht es nicht gut, sagt der Sohn.
    Sie macht es nicht mehr lange, sagt der Vater. Ich weiß es nicht, fährt er fort, bricht dann aber ab, und alle drei schweigen. Dann holt Snorri die restlichen drei Stücke Gebäck aus der Tüte.

XVIII
    Der Juni geht langsam vorbei, und im Frühsommer kommen Boote, die randvoll mit Eiern aus den Vogelkolonien im Norden beladen sind. Manch einer musste mit den Eiern von weit her rudern, wenn ihm der Wind nicht günstig war. Die meisten landen ihre Boote am Strand, nicht weit von Geirþrúðurs Haus am Ende der Straße, und schleppen dann die Eier zügig auf Tragen zu ihren Händlern, versuchen aber auf dem Weg so viele Eier wie möglich direkt an die Hausmädchen der bessergestellten Häuser zu verkaufen. Die frischen Eier werden gekocht und verzehrt, die angebrüteten verwendet man zum Backen, am liebsten für kleine Eierkuchen, schließlich schmeckt nur weniges auf der Welt besser als warme Eierkuchen mit Butter.
    Der Junge versucht das Kommen und Gehen der Eierbauern im Auge zu behalten, weil er hofft, Bjarni von Nes unter ihnen zu entdecken, ihn wiederzusehen, etwas von den Kindern zu hören und über Hjalti zu reden, dass sie ihn verloren haben, dass er ein guter Mensch gewesen ist; doch der Juni vergeht, und kein Bjarni ist zu sehen. Der Junge verpasst ihn, oder Bjarni fährt stattdessen zu Sigurður nach Sléttueyri. Ob Hildur ihn wieder einmal anbinden musste? Der Junge läuft fünf-, sechs-, siebenmal die Woche und freut sich auf jeden Morgen, wenn er bei Andrea und Helga sitzen und ihren Unterhaltungen zuhören kann. Andrea nennt ihn wieder bei den Kosenamen, die sie ihm in der Fischerhütte gegeben hat, wenn außer Bárður keiner zuhörte: mein Junge, Kerlchen, Traumtänzer.
    Na, was sagt mein Traumtänzer heute?, fragt sie eines Morgens, und Helga hakt ein: Da hast du ihm den richtigen Namen verpasst!
    Was sagt mein Traumtänzer?
    Er hat geträumt, du seist eine Prinzessin in einem fernen Land mit Bäumen, Sonnenschein und einem schönen Teich, ich war ein kühner Ritter und hatte geschworen, mein Leben lang für dich zu streiten.
    Wieso musst du für mich kämpfen?
    Deine Schönheit ist so groß und dein Wesen so gut, dass Edle und Schurken dich haben wollen, die Bösewichte mit List und Tücke, wenn es sein muss.
    Oh, dann musst du aufpassen! Nett von dir, mich, eine Durchschnittsfrau mit hässlichen roten Händen, zur Prinzessin zu machen.
    Die Träume verraten uns, wer wir wirklich sind, sagt der Junge, und darüber hinaus zeigen sie uns, wie die Welt eigentlich sein sollte; also wissen wir jetzt, dass du in Wahrheit eine Prinzessin in einem schönen Land mit viel Sonnenschein bist.
    Geirþrúður hat schon recht, wirft Helga ein, wenn du deine Unschuld verlierst, wirst du einmal richtig gefährlich.
    So verleben sie ihre stillen, schönen Morgenstunden, und die bringen einiges auf die Waagschale, denn das Leben wiegt unentwegt, Glück auf der einen und Unglück auf der anderen Seite. Was von beiden wiegt schwerer? Andrea schläft oft spät ein, sie starrt an die Kellerdecke, und ihre Augen sind ebenso rot wie ihre Hände. Kolbeinn scheint es immer schwerer zu fallen, bei dieser Helligkeit aufzustehen, er kommt erst spät nach unten und ist dann krumm wie ein Klappmesser, ein abgetakeltes Schiff im dunklen Ozean. Geirþrúður verlässt fast täglich zu Pferd den Ort, in ihren Gedanken zerschneidet ein schwarzer Kiel das Tageslicht, vielleicht träumt sie von einem Kätzchen und einem Mann, der ihr zu nah gekommen ist und ertrank.
    Was sagt mein Traumtänzer?
    Ich habe geträumt, du wärst eine Prinzessin, die über Bäume und Sonnenschein herrscht.
    Was sagt mein Traumtänzer?
    Ich mache mir Sorgen um Jens. Ich muss ihm schreiben. Außerdem möchte ich auch Bárðurs Freundin Sigríður schreiben. Ich glaube, Bárður hätte es so gewollt, ich höre nie auf, an ihn zu denken, er ist so wie der Himmel über mir.
    Was sagt mein Traumtänzer?
    Ich vermisse meinen Bruder. Egill heißt er. Ich weiß nicht, wo er ist.
    Was sagt mein

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