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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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im Magen, Schlappheit. Die beiden Männer stehen im Sommer, im Licht, in der Windstille, die Frauen quatschen und scherzen miteinander, man kann an einem solchen Morgen nicht traurig sein, es gibt nicht den Anflug einer Wolke am Himmel. Vater und Sohn fingern an den ausgefransten Ärmeln ihrer Jacken herum, während Snorri den beliebten Zwieback bestellt, der auf den Kuttern des Ortes so unverzichtbar ist.
    Und auch etwas Plundergebäck, nicht viel, aber doch genug, um den Männern eine Freude zu machen, sagt Snorri, damit sie etwas Süßes geschmeckt haben, bevor sie wieder auslaufen. Er lächelt, nicht sehr breit, aber es ist ein Lächeln. In der deutschen Bäckerei folgt auf Snorris Worte, auf seine alltägliche Bestellung von Zwieback und Plundergebäck, nichts als Schweigen. Dann läuft eine der beiden Verkäuferinnen rot an, die andere öffnet den Mund, um etwas zu sagen, klappt ihn wieder zu und guckt hilflos ihre Kollegin an.
    Snorri begreift schnell, hat vielleicht damit gerechnet.
    So schlimm?, fragt er ruhig und beherrscht und lächelt noch einmal, und die Frauen nicken beide. Tryggvis Handelsfirma hat angeordnet, dass Snorri bankrott sei und nirgends mehr anschreiben lassen dürfe, bevor er nicht seine Schulden bezahlt habe, hat mit anderen Worten sein Ende beschlossen. Die Errötete beißt sich fest auf die Unterlippe und schaut aus dem Fenster, sie sieht Vater und Sohn dicht beieinanderstehen, als suchten sie gegenseitig beieinander Schutz vor einer dunkel werdenden Welt.
    Snorri steht nachdenklich vor der Ladentheke. Es ist das erste Mal, dass ihm etwas verweigert wird. Dazu musste er erst so alt werden, über fünfzig. Bis jetzt hat er immer als vertrauenswürdig gegolten, solange er zurückdenken kann, schließlich ist ihm nie der Gedanke gekommen, seine Rückstände womöglich nicht zu begleichen, einen solchen Verfall von Anstand gibt es einfach nicht bei ihm, nicht einmal eine Spur davon, und genau damit, mit Verlässlichkeit, ruhiger Bedachtsamkeit und Vorsicht hat er sein kleines Geschäft aufgebaut. Und jetzt ist es so weit. Jetzt ist es vorbei. Die Zeiten haben sich geändert, seine Frau hat ihn verlassen, Gott hat sie in seinen Dienst genommen, und die, die Gott dienen, lassen manchmal die Menschen im Stich. Seit sie weg ist, ist alles schwieriger geworden, die Buchhaltung, die Dunkelheit, er wacht allein auf und hat niemanden, mit dem er reden kann. Zudem ist es nicht einfach, als kleiner Laden neben den großen Firmen zu überleben, es ist hart, gegen Tryggvi und Leó zu konkurrieren, nach und nach haben sie die Kundschaft zu sich herübergezogen, so läuft das, und er hat nicht mehr die Energie, ist zu einsam, um noch dagegen anzugehen.
    Nuja, sagt er schließlich. Nuja. Er benutzt dieses gewichtige Wort, um ein lastendes Schweigen zu brechen, und die beiden Frauen seufzen.
    Nuja, so ist es nun einmal, alles kommt, wie es kommen muss, und das hätte ich mir natürlich auch selbst sagen können, anstatt euch in diese unangenehme Situation zu bringen. Aber ich möchte trotzdem, sagt er und kramt ein paar Münzen aus seiner Tasche, sechs Stück Plundergebäck von euch. Und damit legt er Bargeld auf die Theke wie einer von den vornehmen Herren.
    Eine der beiden Verkäuferinnen steckt wortlos zehn Stück in eine Tüte, die andere schiebt das Geld zurück. Snorri nimmt vier Stück aus der Tüte, legt sie neben das Geld und lächelt verhalten. Es soll doch alles seine Ordnung haben, sagt er.
    Björn und Bjarni sehen Snorris Gesicht an, dass etwas vorgefallen ist und dass die Tüte aus der Bäckerei beträchtlich dünner ist, als sie gehofft haben, aber sie stellen keine Fragen und setzen sich Richtung Kai in Bewegung. An dem Kühlhaus, an dessen Aufbau er beteiligt war, bevor er seine Anteile später an Geirþrúður verkaufen musste, bleibt Snorri stehen, lässt sich auf der Sonnenseite nieder und bedeutet den beiden, sich zu ihm zu setzen. Er packt das Plundergebäck aus, und da sitzen sie, blicken über die Landzunge, die wieder einmal weiß wird von Salzfisch, Frauen und Kinder nehmen nach der Nacht die Stapel auseinander und verteilen den Fisch, verwandeln die Landzunge in einen Friedhof der Engel. Die Männer kauen das Gebäck, blicken hinaus aufs Hafenbecken.
    Heute soll das Schiff aufgerichtet werden, sagt Snorri.
    Das ist gut, sagt der Vater.
    Ist nicht angenehm, auf diesen Rumpf zu gucken, sagt der Sohn.
    Er ist so dunkel, merkt der Vater an.
    Fast schwarz, pflichtet ihm der Sohn

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