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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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bräunliches Segel über ihnen.
    Ich habe im Sommer recht gute Tauschgeschäfte mit ausländischen Seeleuten gemacht, erzählte Bjarni, mit Franzosen und Amerikanern.
    Und ich dachte, ihr wärt ganz weit weg von allem, sagte Andrea. Es tat gut, so kräftig zu rudern, das hielt die Tränen zurück – es ist nicht leicht, das Leben zu wechseln.
    Ja, schon, aber Seeleute brauchen Wasser und Eis, um ihren Fang frisch zu halten. Wir haben eine gute Quelle und in einem Hang eine große Schneehalde, die nur selten ganz abtaut, das ist eine gute Einnahmequelle. Den Kindern macht es Spaß, die fremden Besucher zu sehen und sprechen zu hören, fuhr Bjarni fort, obwohl es sicher fehl am Platz war, so viel zu reden, was sollte sie denn von ihm denken, aber er bekam ein Lächeln von ihr geschenkt, hier draußen auf dem Meer. Es stimmt sicher, was gesagt wird: Man kann sehr lange von einem Lächeln zehren. Sogar jahrelang. Sie segelten nach Norden und sahen die Berge aus dem Meer wachsen, sahen tiefschwarzen Fels, sahen grüne Buchten, die sich öffneten, tiefe Fjorde, ein Mann und eine Frau in einem Boot, das Segel über ihnen wie eine Schwinge oder wie Freiheit.
    Gleich am nächsten Morgen fängt der Junge seinen ersten Brief an, er sitzt am hintersten Tisch, dem von Kolbeinn, einige Gäste halten sich in der Wirtschaft auf. Unten am Kai liegt ein dänisches Frachtschiff, ein Walfangboot im Hafenbecken, zwei Decksschiffe aus dem Nordland sind in der Nacht eingelaufen, den Fang hat Tryggvis Landhandel aufgekauft. Fünf Dänen und vier Norweger sitzen an zwei Tischen, und wegen des Trangestanks der Norweger stehen sämtliche Fenster offen. Der Junge erhebt sich hin und wieder, um Áslaug und Ólafía ein wenig zur Hand zu gehen, aber das ist mehr zum Schein, die beiden kommen auch allein klar, und gegen neun wird er mit einer Nachricht zu Buchhalter Jóhann geschickt. Trotz der Betriebsamkeit an den Verarbeitungsplätzen ist es ruhig und windstill zwischen den Bergen, eine fast träumerische Ruhe liegt über allem, als habe die Welt einmal kurz die Augen geschlossen. Da aber läuft ein großes Dampfschiff im Hafenbecken ein, und die Stille zerreißt.
    T. Jónsson steht an seinen Bordwänden, Tryggvi Jónsson. Tryggvi persönlich ist gekommen, und er hat sich gegen den Rat von Friðrik und Oberbuchhalter Högni, die lieber einen guten Segler gekauft hätten – wäre viel billiger gewesen und hätte es auch getan –, also doch einen Dampfer zugelegt. Ein Tryggvi erlaubt sich größere Sprünge als andere, und er will nicht mehr vom Wind abhängig sein, wie wir es immer gewesen sind, stets mussten wir um richtigen Wind beten, der Wind aber weht, wie er will, und nimmt mit, was er vorfindet, Vogel oder Schiff, das ist ihm gleich. Er bläst Worte und Erinnerungen ins Nirgendwo und Schiffe von einem Land zum andern. Tryggvi aber hat sich ein großes, starkes Dampfschiff gekauft und sich damit vom Wind unabhängig gemacht, es sieht fast so aus, als habe er über die Naturmächte triumphiert: Die drei Masten, die hoch und majestätisch über dem Deck aufragen, bezeugen, dass Tryggvi den Wind in seinen Dienst genommen hat, er pfeift auf ihn, wenn er ungünstig steht, und nutzt ihn, wenn er aus der genehmen Richtung kommt.
    Die Ankunft dieses 849 Tonnen schweren und zwanzig Jahre alten Schiffs, das Tryggvi in Schottland erworben hat – es ist das erste dampfgetriebene Hochseeschiff im Besitz eines Isländers –, hat verborgene Kräfte freigesetzt, der Ort bibbert buchstäblich, als der Junge von Jóhann zurückkommt. Das große Schiff ist im Hafenbecken vor Anker gegangen, die kleine Tryggvi , ein Dreißig-Tonnen-Dampfboot, das im Vorjahr angeschafft wurde, bringt die wichtigen Personen an Land, Tryggvi selbst, seine Frau, zwei Kinder und den Schwiegervater, einen ehemaligen General und Verteidigungsminister im Ruhestand. Kjartan der Stauervize hat die Stauer in die Laderäume von zwei Segelschiffen gescheucht, die am Kai angelegt hatten; als sich die Männer endlich an dem großen Dampfer sattgeglotzt hatten, brüllte er sie unter Deck, denn jetzt sollten sie in Dreiteufelsnamen loslegen, damit diese beiden wurmstichigen Seelenverkäufer endlich vom Kai wegkämen. Der Dampfer T. Jónsson muss hier anlegen, großartig und glänzend wie die Zukunft, eine Ladung aus Salz und Kohle an Bord. Er wird dann Trockenfisch laden, wenn die Männer den Tag und die folgende Nacht damit zugebracht haben, den Kohlenstaub wegzuwaschen, und schwarz aus

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