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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Junge, er hat zehn Bögen Papier und vier Bleistifte für seine Kinder gekauft.
    Bjarni: Ich bin gekommen, um Eier und einen Vogel zu verkaufen und dafür Vorräte einzukaufen. Ich habe gesagt, ich bin vor Einbruch der Nacht zurück.
    Andrea streicht sich über das grau werdende Haar. Ich bin vierzig Jahre alt und habe, bis auf einmal, nie etwas Ungewöhnliches oder Überraschendes getan, nie eine Entscheidung getroffen, die mein Leben durcheinandergebracht hätte. Ich habe gelebt wie ein Schaf, lieb und gewissenhaft, habe immer getan, was man von mir erwartet hat.
    Bis auf einmal?, fragt Bjarni nach und nutzt noch einmal die Gelegenheit, sie anzugucken und sie sich, wer weiß, in seiner engen Wohnstube zwischen den Kindern und seiner Mutter vorzustellen, oder sich auszumalen … Es ist schwer, seine Gedanken zu beherrschen, manchmal sagen sie uns, was wir uns wünschen, wozu wir uns aber nicht zu bekennen wagen.
    Ja, sagt Andrea und guckt zurück, als wollte sie in seine Gedanken sehen, in seine Ängste und Träume, und vielleicht sieht sie auch etwas, die Hilflosigkeit gegenüber den Kindern, gegenüber ihren Blicken und ihrer Sehnsucht. Ja, bis auf einmal.
    Bjarni guckt, fragt nicht weiter, es geht ihn auch nichts an, und Andrea schweigt ebenfalls.
    Geirþrúður und Helga wechseln einen schnellen Blick, Geirþrúður nimmt ein neues Zigarillo.
    Das war, als du Pétur verlassen hast, deinen Mann, als du Mut bewiesen hast.
    Wann war das?, fragt Bjarni, als Andrea nichts sagt.
    Vor fünf Wochen.
    Ja, was zum Teufel, du bist also verheiratet?
    Ja. Der Junge hier hat ihr einen Brief geschrieben, erklärt Geirþrúður durch ihren Zigarrenqualm.
    Einen Brief?
    Und daraufhin kam Andrea zu uns.
    Wozu einen Brief?
    Um die Welt zu verändern, sagt Geirþrúður, oder gibt es einen anderen Grund, um zu schreiben?
    Bjarni guckt auf seine Hände. Sie sind kräftig, sie sind tüchtig, sie sind sprachlos.
    Ich bin auf der Flucht, sagt Andrea. Ich habe ein Recht, zu leben.
    Hat dein Mann dir etwas angetan?, fragt Bjarni, ohne den Blick von seinen rissigen Händen zu heben.
    Es geht eher um all das, was er nicht getan hat.
    Er hat dich also nie geschlagen?, fragt der Bauer seine Hände.
    Pétur ist ein netter Kerl und zuverlässig, aber sein Herz ist ein Salzfisch.
    Vielleicht bin ich auch nicht besser, meint Bjarni, vielleicht ist mein Herz ein toter Vogel.
    Das glaube ich nicht, sagt Andrea.
    Bjarni guckt den Jungen an, als wäre der für alles verantwortlich.
    Sei nicht so ein Sturkopf, sagt Geirþrúður schließlich. Wenn es nicht geht, kommt Andrea im Herbst einfach wieder zu uns zurück.
    Man ist nicht auf die Welt gekommen, um allein zu sein, sagt Helga.
    Da seufzt Bjarni, da flucht Bjarni, da wendet Bjarni ein: Das ist aber ein winziger Hof, es ist sehr hart.
    Es ist alles eine Frage der Perspektive, sagt Andrea.
    Was?, hakt Bjarni nach.
    Es ist nichts schwierig, wenn man frei ist, sagt Andrea.
    Bjarni steht auf. Er hat Arme, zwei Stück. Sie wurden dem Menschen gegeben, damit er einen anderen Menschen im Arm halten kann.

XXI
    Die Welt ist niemals gut, und darum ist es schade, einen guten Menschen weggehen zu sehen, sagt Gísli am folgenden Tag zu dem Jungen, der über dem Leben eines alten Griechen brütet. Es ist jedes Mal schade, einen guten Menschen gehen zu sehen. Der Junge weiß sofort, dass Gísli Andrea meint, auch wenn sie gar nicht über sie gesprochen haben. Der Rektor steht wie so oft am Fenster der vorderen Stube und sagt in die Helligkeit hinaus: Warum musste sie uns verlassen?
    Sie konnte nicht anders, antwortet der Junge, über eine zweieinhalbtausend Jahre alte Weisheit gebeugt.
    Konnte nicht anders, wiederholt Gísli. Was können wir, was müssen wir, so kann man das nicht sagen. Der Mensch trifft eine Entscheidung, oder er trifft keine Entscheidung, aber am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus, wir werden nie mit dem Leben fertig.
    Der Junge versucht sich in alte Gedanken zu vertiefen, konzentriert sich, manchmal geht es gut, manchmal schlecht. Es ist ja auch nicht immer leicht, einen Brief zu bekommen. Warum haut sie nicht mit diesem blöden Norweger ab? In Norwegen ist das Wetter besser, angeblich jedenfalls, also lebt es sich da leichter.
    Ist das dämliches Papier! Viel zu klein für Buchstaben. Die haben gar keinen Platz. Fünf Blatt habe ich bei Steinunn bekommen, drei habe ich den Kindern gegeben, die anderen zwei sind für Dich. Salvör ist mit den Kindern draußen, ich höre ihr Lachen bis

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