Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

dem Laderaum steigen werden wie Teufel aus der Hölle. Kjartan treibt sie mit lautem Gebrüll zur Arbeit an, er unterbricht sich nur, als das kleine Dampfboot anlegt und die Besucher an Land gehen. Als sich die hohen Herrschaften in angemessener Entfernung befinden, schimpft er gleich wieder los. Solange feine Ohren in Hörweite sind, brüllt man nicht rum.
    Gemeinsam schreiten sie nun durch die Straßen des Orts, Tryggvi und Friðrik, Alpha und Omega. Friðrik in seiner blauen Jacke, die über seiner breiten Brust spannt, fast einen Kopf größer als Tryggvi und doch nicht so Respekt gebietend wie sonst. In Gegenwart gewisser Persönlichkeiten schrumpft alles. Sie bleiben beim Trockenfisch stehen, Friðrik bückt sich und hebt einen Fisch auf, den sie dann gemeinsam eingehend betrachten und gegen die Sonne halten, um zu prüfen, ob er ordentlich verarbeitet wurde. Wenn man durch das Nackenstück die Finger der Hand unterscheiden kann, ist der Fisch trocken genug, dann kann man ihn nach Spanien verschiffen, der Sonne entgegen, und bekommt Geld dafür, um über die Runden zu kommen, um dieses Land, diese verbrannte, windgefegte Insel, in die Zukunft zu reißen, aus Dunkelheit und Tod in Licht und Wohlstand. Friðrik reicht Tryggvi Fisch um Fisch, und die, die in seiner Nähe stehen, fühlen einen merkwürdigen Druck im Kopf, sind froh, wenn er weitergeht, bilden sich aber auch mächtig was darauf ein, so nah bei dem Mann gestanden zu haben, der unseren Ort florieren lässt, das Auskommen Tausender hängt voll und ganz von ihm und seinem vorausschauenden Denken ab. Tryggvi verwandelt unsere Plackerei und den grauen Alltag in Gold, für das er Dampfschiffe kaufen kann, mit denen er ein Leben in der großen Stadt Kopenhagen finanziert, mit denen er seine Kleidung bezahlt, den Lebensunterhalt für seine Kinder und Kindeskinder, er kassiert neun Zehntel, wir bekommen eines. So ist das.
    Der Junge lässt sich verleiten, zur Neðribryggja zu gehen und das Schiff genauer zu betrachten, diesen Koloss, dieses Siegessymbol. Er macht einen Umweg, um betrunkenen Seeleuten auszuweichen, geht an der Schule vorbei und hört, wie barsch sein Name gerufen wird. Er bleibt stehen, dreht sich um und erstarrt, als er Friðrik schnell auf sich zukommen sieht. Er nähert sich mit großen Schritten und verdeckt bald Tryggvi, der mit seiner Begleitung an der Schule wartet. Friðrik eilt auf den Jungen zu, verdeckt alles, und es fällt sogar schwerer, zu atmen, als ob Friðrik allen Sauerstoff ansaugen würde. Der Junge versucht, nachzudenken, nun stehe ich auf diesem Fleck mit meiner robusten Seele. Er greift nach diesem Vers wie nach einem Strohhalm, aber es hilft nicht viel. Friðriks Augen liegen tief in den Höhlen, und von ihrem Grund strahlt Kraft aus.
    Bei mir zu Hause ist dein Name gefallen, sagt Friðrik und bohrt seinen Blick tief in den Schädel des Jungen, der merkt, wie sein Hirn heiß läuft. Ragnheiður hat ihn dreimal fallen lassen, ohne dass es einen Anlass dafür gegeben hätte. Das missfällt mir. Leute, die praktisch mitten in der Fangzeit ihren Arbeitsplatz bei einem guten Vormann verlassen, taugen nichts. Ich weiß nicht, ob zwischen euch etwas vorgefallen ist, aber ich kenne meine Tochter, und sie würde dich nicht erwähnen, wenn nichts gewesen wäre.
    Friðrik hat anscheinend alles gesagt und schaut wie in Gedanken hinauf zu den Bergen über ihnen. Der Junge fühlt Erleichterung, sein Gehirn kühlt sich wieder ab, da blickt Friðrik ihn erneut an und sagt ruhig und unangenehm teilnahmslos: Wenn du sie anfasst oder sie auch nur von dir aus ansprichst, dann mache ich dir die Hölle heiß. Ich lasse dir den Zipfel zwischen deinen Beinen abschneiden und werfe ihn den Hunden vor. In drei Tagen fährt sie nach Kopenhagen, und bis dahin ist es für dich das Beste, wegzulaufen und dich zu verstecken, sobald sie auch nur in deine Richtung blickt. Nichtsnutzige Herumtreiber haben in der Nähe meiner Tochter nichts zu suchen.

XXIII
    Am Abend findet ein Festessen statt. Vor dem Hotel sammelt sich ein Häufchen Neugieriger, um den Einzug der Gäste zu begaffen. Ragnheiður trägt ein auffälliges rotes Kleid – darüber dieser weiße Hals, diese Augen und der Abstand zwischen ihnen. Sie schreitet zum Hotel, und alle mustern sie, die Frauen das Kleid, die Männer den Körper darunter. Über den Schultern trägt sie eine braune Stola, die von einer Rose aus schwarzem Samt zusammengehalten wird. Über der Brust liegt das Kleid