Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
gesehen, außer sturzbetrunkenen Seeleuten, von denen einige auch noch geil und scharf auf sie waren, weil sie überzeugt waren, ihre Hässlichkeit müsse sie zu einer leichten Beute machen und sie würde ohnehin nehmen, was sie kriegen könne. Guck mal, Süße, was ich hier für dich habe!
Darum mach dir keine Sorgen, sagt Snorri, als wollte er sie trösten, aber sie entschuldigt sich noch ein drittes Mal, und darauf sagt er: Das ist Mozart.
Ich weiß, antwortet sie.
Anna sollte die Schultern lockerer lassen, sagt Snorri.
Stimmt, meint Hulda, sie spielt ein wenig hart.
Möchtest du dich setzen?, fragt Snorri.
Ja, danke, antwortet sie und setzt sich.
Ich wusste nicht, dass du so ein gutes Ohr für Musik hast.
Nein.
Snorri legt die Hand behutsam auf das aufgeschlagene Notenheft auf seinem Schoß.
Das hier ist allerdings Chopin, sagt er.
Hulda wirft einen Blick auf die Noten und fragt dann: Sind das nicht die Nocturnes ?
Großer Gott!, sagt Snorri.
XXIV
Ganz offensichtlich ist der gekommen, der unser Schicksal prägt. Zwischen sieben und acht Uhr morgens unternimmt Tryggvi lange Spaziergänge, er schreitet den Ort ab. Wir unterstehen uns kaum, zu grüßen, schon gar nicht als Erste. Er hingegen grüßt jeden, fragt die Kinder nach ihren Namen, und sein Dampfschiff liegt an der Neðribryggja. Am Morgen nach dem Festessen wird ein großer eiserner Gegenstand vom Schiff zum Ortsbrunnen transportiert, eine mannshohe, gusseiserne Pumpe, und Männer von Tryggvis Landhandel machen sich umgehend an die Montage. Sie ist ein Geschenk von Tryggvi an uns. Niemand hat ihn darum gebeten, aber was für ein Unterschied! Sogar Skúli hat ihn im Þjóðviljinn dafür gelobt. Endlich wird es möglich sein, sauberes, nicht versalzenes Wasser zu pumpen. Bislang haben alle, die unbedingt sauberes Trinkwasser haben wollen, es aus dem Bach holen müssen, eine mühselige Schlepperei über eine längere Strecke, besonders im Winter, wenn die Welt vereist und das Leben ohnehin beschwerlich genug ist, erst recht, wenn man dann noch über eine weitere Entfernung kaltes Wasser schleppt und in der eisigen Kälte andauernd Spritzer abbekommt. Das ist jetzt, dank Tryggvi, vorbei, und die Pumpe, schon bald Tryggvipumpe genannt, holt fast ohne Anstrengung Wasser für uns tief aus der Erde. Während die Pumpe noch montiert wird, macht als Nächstes die Nachricht die Runde, dass andere Männer Arbeiten an Tryggvis Haus vornehmen; es soll von dort eine Telefonleitung zum Laden gespannt werden, später auch von Friðriks Haus. Es handelt sich um einen Draht, der hoch über unseren Köpfen durch die Luft geführt wird und Stimmen von einem Haus zum anderen befördern soll, dabei ist der Draht nicht dicker als ein Urinstrahl, und man sollte meinen, wir würden zum Besten gehalten, aber nein, das ist die heutige Zeit, und so wird die Zukunft aussehen, das Unvorstellbare wird zum Alltag. Zusätzlich hat Tryggvi Vorbereitungen treffen lassen, um eine weitere Leitung den ganzen Weg bis hinauf nach Þrengsli zu legen, das ist ein winzig kleiner Ort, etwa zwanzig Kilometer von hier entfernt an der Mündung eines Tals, das kaum breiter ist als ein Messerrücken, die Berge sind hoch und sehr steil, und im Winter trägt das Donnern der Lawinen bis weit aufs Meer hinaus. Dorthin will Tryggvi eine Leitung legen lassen, denn von Þrengsli lässt sich das Wetter sehr viel besser beobachten, man sieht Stunden im Voraus, wie es werden wird und ob das Meer ungefährlich ist. Solche Informationen können geradezu Leben retten. Tryggvi wirft uns also so etwas wie eine Rettungsleine zu.
Seine Kinder halten sich meist im Haus auf, klimpern auf dem Klavier, lesen Romane, liegen auf feinen Sofas und erzählen Ragnheiður von Kopenhagen. Sein Schwiegervater, der alte General, sitzt draußen an der Hauswand und blickt über die Landzunge, die ganz mit Salzfisch bedeckt ist, und beobachtet die Arbeiterinnen und Arbeiter, die gebückt den Fisch wenden, damit er nicht in der Sonne kocht. Der alte Herr mit seinen buschigen Augenbrauen und den stechend blauen Augen ist ein Respekt gebietender Anblick, der General über den Salzfisch. Ein leerer Stuhl neben ihm ist für Gísli gedacht, der jedoch auf sich warten lässt, das macht aber nichts, denn die blauen Augen des alten Mannes durchdringen die Menschen bis auf ihren Kern, und daher weiß er, dass Gísli wie vorgesehen kommen wird. Sie müssen sich auf Französisch noch über verschiedene Schlachten der Weltgeschichte
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