Das Herz des Südens
ihn hochzuheben, und Remy, der Cleo so zärtlich im Arm gehalten hatte, als sie zusammen auf dem Deich gesessen hatten, Remy, dessen Gesang so voller Mondschein und Liebe gewesen war, hatte ihn tragen müssen. Die zerschlagenen Glöckchen dröhnten in ihrem Kopf, auch wenn sie nie wieder läuten würden.
Ich war zu streng mit Phanor, dachte sie. Ich habe nur meinen Stolz im Sinn gehabt. Hoffentlich bekomme ich eines Tages Gelegenheit, ihm zu sagen, dass ich im Unrecht war.
Sie nickte Laurent zu. »Mach weiter.« Sollen sie das Ding doch einschmelzen, dachte sie. Auf Toulouse werden wir so etwas nie wieder benutzen.
Sie verdächtigte LeBrec, das Feuer gelegt zu haben, aber sie konnte ihm nichts nachweisen. Niemand hatte in der fraglichen Nacht etwas gesehen oder gehört. Der alte Sam hatte den Rauch gerochen und um Hilfe geschrien, aber da schlugen die Flammen schon meterhoch aus der Raffinerie, und die Eimer Wasser, die sie zum Löschen hineinwarfen, waren vollkommen nutzlos. Josie hatte so nahe dabei gestanden, wie die Hitze erlaubte, während der Feuerschein auf den verschwitzten Rücken der Männer glänzte, die vergeblich versuchten, die Flammen zu löschen. Der Rauch war in dicken Schwaden in den schwarzen Nachthimmel gestiegen.
Inzwischen hatte sich Cleo von der Vergewaltigung und von dem Mittel gegen eine mögliche Schwangerschaft erholt, und Josie konnte sich darauf konzentrieren, Toulouse zu retten. Sie wollte keinen Gedanken an Rache verschwenden, und ebenso wenig wollte sie an ihr eigenes gebrochenes Herz und ihren verletzten Stolz denken. Ohne eigene Raffinerie würden die Gewinne der Plantage noch kleiner ausfallen, als sie ohnehin schon befürchtet hatte, und ihre Schulden würden noch weiter wachsen. Sie würde tatsächlich zu Albany Johnston gehen müssen.
Am nächsten Morgen stand Josie am Anleger und nahm das erste Schiff. Ellbogen-John stand neben ihr, ein eher nutzloser Begleiter, denn der Fluss machte ihm immer Angst. Josie hatte ihm erlaubt, hinter ihr zu stehen, möglichst weit weg von der Reling. Die Bäume zeigten schon erste Anzeichen von Herbst, die Blätter waren zerzaust und trocken. Hier und dort ließ ein Ahorn große Blätter wie gelbe Fähnchen im Wind flattern. Der feine Gischtnebel, der vom Schaufelrad herüberzog, ließ Josie frösteln, aber sie konnte es noch weniger ertragen, drinnen zu sitzen.
Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen, ein graugrünes, das gut zu ihren Augen passte, und sie hatte sich mit dem Make-up und den Haaren besonders viel Mühe gegeben. Nach all dem Interesse, das sie in New Orleans Bertrand Chamard entgegengebracht hatte, konnte sie nicht damit rechnen, dass Albany immer noch verliebt in sie war, aber es konnte auch nicht schaden, so gut auszusehen wie möglich.
Am Anleger der Johnstons drehte das Schiff bei, und zu Ellbogen-Johns großer Erleichterung war die Reise vorerst zu Ende. Charles, der Butler, begleitete Josie zum Haus und in die imponierende Eingangshalle. Sie betrachtete die teuren Möbel und war genauso beeindruckt wie beim ersten Mal, als sie hier zu Besuch gewesen war. So viel Opulenz und Sicherheit – und all das hätte ihr gehören können. Sie fuhr mit dem Finger über eine Vase aus Limoges-Porzellan, die auf einem Tischchen stand.
Sie wurde ins Wohnzimmer geführt und saß dort angespannt und aufgeregt, während die große Wanduhr immer lauter zu ticken schien. Kaum ein Geräusch war zu hören, das Haus hätte ebenso gut menschenleer sein können. Nicht einmal die Vögel draußen zwitscherten. Josie hatte am Tag zuvor ein Billett geschickt, um anzufragen, ob ihr Besuch willkommen sei, und Albanys Mutter hatte sofort geantwortet. Abigail und Bertrand hielten sich in Paris auf, aber natürlich durfte sie gern kommen. Trotzdem konnte sie nicht einschätzen, wie Albany sie aufnehmen würde, bis sie ihn selbst vor sich sah.
Endlich waren Schritte auf dem Gang zu hören. Josie stand auf, strich ihr Mieder glatt und machte sich auf eine kühle, höfliche Begrüßung gefasst.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und ihre Cousine Violette mit der langen Nase kam hereingeeilt. »Josephine! Wie schön, dich zu sehen!«, rief sie, während sie mit ausgestreckter Hand das Zimmer durchquerte. Unwillkürlich erinnerte sich Josie an ihren ersten Besuch in diesem Haus, als Abigail mit einer ebenso überschwänglichen Begrüßung auf sie zugeeilt war.
Ihre Cousine küsste sie auf beide Wangen und lachte. »Damit hast du nicht
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