Das Herz des Südens
Deckenbündel auf Cleos Schulter. »Das ist ja Gabriel«, sagte sie. Cleo trat einen Schritt zurück und drückte Gabriel fester an ihre Brust. Ein Wagen mit einem Maultier davor ratterte vorbei, und einige Händler drängten sich um sie.
Cleos Misstrauen war fast zu viel für Josie. »Ich will ihn dir nicht wegnehmen«, sagte sie. »Ich will ihn nicht mal auf den Arm nehmen.«
Cleo trat noch einen Schritt zurück und ließ Josies Blick nicht los.
»Es tut mir so leid, Cleo.« Josie konnte fast nicht atmen. »Vergib mir. Bitte vergib mir, Cleo«, brachte sie noch heraus.
Cleos Augen füllten sich mit Tränen, aber Josie konnte die Angst und das Misstrauen hinter dem Tränenschleier sehen. Als Cleo noch weiter zurückwich, begann Josie zu schluchzen. »Es tut mir so leid«, sagte sie noch einmal.
»Leb wohl, Josie«, erwiderte Cleo flüsternd. Dann drehte sie sich um und war auch schon in der Menschenmenge verschwunden.
Josie lehnte sich an eine Mauer und verbarg ihr Gesicht in ihrem Schal, bis sie wieder leichter atmete. Dann wischte sie sich die Augen und bewegte sich durch die Menge, in der Cleo verschwunden war. Sie sehnte sich von ganzem Herzen nach ihrer Schwester.
Es war schon fast dunkel. Josie steckte ihr Taschentuch weg und beeilte sich, zwei Schweineschinken beim Metzger zu kaufen. Sie trug den schweren Korb im letzten Licht zurück zur Küche. Louellas Korb stand auf dem Tisch; sie würde sich wohl schon in ihrem Zimmer ausruhen. Josie legte das Fleisch in eine Blechkiste, um es vor den Ratten zu schützen, dann schloss sie die Küche hinter sich ab.
Der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Straßen waren finster, als Josie nach Hause ging, um sich auszuruhen. Sie war zu müde und zu sehr in Gedanken verloren, um Angst zu haben. Irgendwann kam sie über den Platz, auf dem Phanor Geige gespielt hatte, damals, an jenem Sonntag. Sie dachte an die Leute, die sie damals betrachtet hatte. Wahrscheinlich waren es dieselben, die jetzt ihre Pasteten kauften. Cleo hatte gut ausgesehen. Ihr Cape war neu, und die Stiefel auch. Vermutlich hatte sie Phanor gefunden, und er hatte ihr geholfen. Phanor war ein guter Mann, wirklich.
Josie stieg die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Wenn sie doch nur einmal Gabriels Gesicht hätte sehen dürfen!
Louella schnarchte schon leise vor sich hin, als Josie hereinkam, sich auszog und in das kalte Bett schlüpfte. Sie stand noch einmal auf, suchte sich ein Paar Socken und legte sich wieder hin. Sie fühlte sich leer und leicht. Sie hätte immer noch gern geweint, aber immerhin hatte sie Cleo sagen können, wie leid es ihr tat. Immerhin.
Während Josie schlief, sang Cleo im Les Trois Frères. Sie trug ihr neues Kleid aus blauem Satin mit schwarzer Spitze an den Ausschnitten. Sie sang mit tiefer, einschmeichelnder Stimme, und die Gäste unterbrachen ihre Gespräche, wenn sie begann. Die Männer und Frauen an den hinteren Tischen spürten denselben warmen, zärtlichen Ton in ihrem kehligen Gesang wie die Bewunderer, die sich darum rissen, gleich vorn an der Bühne zu sitzen, um sie zu sehen.
Bertrand Chamard war allerdings der einzige Bewunderer, den sie auch ermutigte. Er kam allein, trank seinen Brandy und starrte sie unverwandt an, solange sie sang. Hinterher fuhr er mit ihr in das kleine Haus im Vieux Carré, wo Gabriel und seine Kinderfrau schon schliefen. Er blieb nie länger als eine oder zwei Stunden, und nachdem er seinen Sohn im Bettchen betrachtet hatte, küsste er Cleo noch einmal und fuhr dann nach Hause zu seiner Frau.
Chamard hatte Cleo gleich entdeckt, als er im Herbst in die Stadt gekommen war. Gemeinsam mit seiner Frau Abigail, ihrem Bruder Albany und dessen Frau Violette hatte er im Les Trois Frères zu Abend gespeist. Ein ruhiger Abend zu viert hatte es werden sollen.
Cleo hatte ihn sofort bemerkt, und ihr ganzer Körper hatte in Erinnerung an die Wärme seines Bettes gebebt. Er hatte sie einen kurzen, intensiven Augenblick lang angesehen, dann hatte er in die andere Richtung geschaut. Sie hatte nie befürchtet, dass er sie verraten könnte, und als der Club spät an diesem Abend geschlossen hatte, war sie nicht allzu überrascht gewesen, ihn vor dem Eingang vorzufinden, wo er in seinem Wagen auf sie wartete.
Sie dachte darüber nach, ob sie ihm von ihrer Begegnung mit Josie erzählen sollte. Würde er Josie helfen? Sie hatte schlecht ausgesehen. Das alte, dunkelgrüne Kleid hatte lose um ihren Körper gehangen, und auch im Gesicht war sie mager
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