Das Herz des Südens
geworden. Ihr Haar spitzte unter der Haube hervor, und es war ein vollkommenes Rätsel, was sie in der Rue Boucher zu suchen hatte. Außer, sie hatte nach Cleo gesucht und vermutet, dass sie Kontakt zu Phanor aufgenommen hatte. Er war ja leicht zu finden.
Als sie sich unter der warmen Steppdecke an Chamard schmiegte, begriff Cleo, dass sie überreagiert hatte. Aber sie hatte solche Angst gehabt, Josie wollte sie zurückholen. Ein lauter Ruf, und sofort wären mehrere Weiße zur Stelle gewesen, um sie zu ergreifen.
Aber Josies Tränen waren echt gewesen. Und ihre Entschuldigung war ebenso echt.
»Ich habe heute Josie getroffen«, sagte sie.
Chamard verlagerte sein Gewicht ein wenig. »Wirklich?«
»Ja, in der Rue Boucher. Ich hatte eine Tüte mit Zitronen zu Phanor gebracht und war auf dem Heimweg, da bin ich fast in sie hineingelaufen.«
»Was macht denn Josie in der Rue Boucher?«
»Erst habe ich gedacht, sie sucht vielleicht nach mir, aber inzwischen vermute ich, sie war genauso überrascht wie ich. Sie ist sehr mager geworden, fast ein bisschen verhärmt.«
Chamard schwieg, und Cleo ließ ihm Zeit zum Nachdenken. Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Brust. »Ich kümmere mich darum.«
Cleo küsste ihn noch einmal, bevor er die schwere Decke zur Seite schlug.
Josies Tante Marguerite hatte Chamard seit seiner Heirat mit Abigail Johnston nicht mehr in ihr Haus eingeladen. Er konnte ihr keinen Vorwurf machen, und als sie ihn bei einer Abendveranstaltung gemeinsamer Freunde traf, war sie so kokett wie eh und je.
»Würden Sie mit mir tanzen, Madame?«
Sie verdeckte die untere Hälfte ihres Gesichts mit ihrem Fächer, wodurch ihre fröhlichen dunklen Augen noch mehr betont wurden.
»Aber mit Vergnügen«, antwortete sie.
Chamard wirbelte sie in die Menge der Tänzer, und so tanzten sie zu den herrlichen Walzerklängen durch den ganzen Saal. Er wusste genau, dass Abigail sie von ihrem Platz neben ihrer Mutter beobachtete, aber er hatte absolut keine Lust, Rücksicht auf ihre kindische Eifersucht zu nehmen. Wenn es ihm Spaß machte, würde er mit jeder einzelnen Frau hier im Saal tanzen. Abigail sollte sich entspannen, sollte selbst für ihre Unterhaltung sorgen. Es waren schließlich genug junge Männer hier, die liebend gern mit ihr tanzen würden, wenn sie ihnen nur einen kleinen Wink gegeben hätte.
Die Kapelle machte eine Pause, und Chamard begleitete Marguerite an den Tisch mit den Erfrischungen. Indem er ihr einen Teller Austern bestellte, sagte er leichthin: »Ich habe gehört, Ihre Nichte ist in der Stadt.«
»Josephine?«, fragte Marguerite. Sie vermied es, ihn anzusehen, was gar nicht ihre Art war. »Nein, soweit ich weiß, hat sie beschlossen, bei ihrer Großmutter auf Toulouse zu bleiben.«
»Ach ja, Emmeline, wie geht es ihr?«
»Nichts Neues, wenn ich die Nachrichten richtig verstehe. Josephine ist jetzt für Toulouse verantwortlich.«
»Die zwei sind sich sehr ähnlich«, bemerkte Chamard. »Starke Frauen, alle beide.«
Etwas hektischer als nötig begrüßte Marguerite ihren Freund Achille. Es war mehr als deutlich, dass sie nicht über ihre Nichte sprechen wollte. Chamard verbeugte sich leicht und kehrte in Begleitung einer eleganten Frau in cremefarbenem Satin auf die Tanzfläche zurück. Wenn Abigail den Rest des Abends mit langem Gesicht dort sitzen blieb, würde er sie irgendwann mit den Johnstons heimschicken und noch einen Abstecher zu Cleo machen, wenn sie im Les Trois Frères fertig war.
Am nächsten Morgen gab Chamard seinem Diener Valentine den Auftrag, Josephine ausfindig zu machen. Cleo würde sich freuen, und auch er wäre erst wieder ruhig, wenn er wüsste, dass es Josephine gut ging. Nach dem Erlebnis mit Marguerite, die ihm für den Rest des vergangenen Abends aus dem Weg gegangen war, hatte er das sichere Gefühl, dass etwas Seltsames im Gang war.
Valentine verfügte über ganz andere Informationsquellen als Chamard. Er begann seine Nachforschungen in der Küche auf der Rückseite von Marguerites Stadthaus. Liza, die Köchin, begrüßte ihn mit einer herzlichen Umarmung und einem verliebten Kuss. »Wo bist du die ganze Zeit gewesen, mein Süßer?«, fragte sie ihn. »Es ist ja eine Ewigkeit her, seit ich dich zuletzt gesehen habe.«
Liza kam selbst nicht sehr oft in die Wohnräume der Familie, aber sie erfuhr eine Menge durch die Haussklaven. »Du bist schon auf der richtigen Spur«, sagte sie. »Da wird ständig über diese Nichte Josephine geflüstert.
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