Das Herz des Südens
dass Grand-mère in der Lage sein würde, sich ihm verständlich zu machen. Sie unterdrückte eine Welle von Heimweh und begann einen neuen Brief, diesmal an Mr Gale. Regelmäßig gingen Briefe zwischen ihnen hin und her, hauptsächlich in geschäftlichen Angelegenheiten, und Mr Gale konnte berichten, dass alles gut lief. Noch so ein Segen, dachte Josie. Wie gut, dass sie in Mr Gale einen so vertrauenswürdigen Verwalter hatte.
In den Wochen nach Josies Zusammentreffen mit Phanor im Les Trois Frères rechnete sie ständig damit, ihm an der nächsten Straßenecke zu begegnen. Sie suchte sein Gesicht unter den Männern, die an ihrer Theke standen, sie beobachtete die Männer in den Kirchenbänken während der Frühmesse, sie führte sogar im Geist Gespräche mit ihm. Aber der leibliche Phanor tauchte nicht auf. Josie versuchte sich selbst zur Ordnung zu rufen, sagte sich, dass die Absolution, die sie gespürt hatte, als er so freundlich über sie sprach, vollkommen ausreiche. Aber sie sehnte sich nach seinem vertrauten Gesicht.
Ostern ging vorüber, es wurde heißer, und die Stadt leerte sich. Wer es sich leisten konnte, suchte Zuflucht an kühleren, gesünderen Orten, beispielsweise an den Seen. Was ihre eigene Kundschaft anging, hatte Josie jedoch recht gehabt. Die Männer und Frauen, die in den unteren Teilen der Stadt lebten und arbeiteten, hatten keine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen, und das Laden und Löschen der Schiffe ging unvermindert weiter. Josie und Louella und die beiden irischen Mädchen, Molly und Kathleen, betrieben beide Küchen weiter, selbst als die Fliegen und Mücken sich rasend vermehrten und der Gestank vom Fluss schlimmer wurde.
Josie ließ zusätzliche Fenster in die Bretterbuden sägen, um die Hitze erträglicher zu machen. Louella verkleidete die Öffnungen mit Käseleinen, aber das führte nur dazu, dass die mutigsten Fliegen hauptsächlich um ihre verschwitzten Unterarme schwirrten. Die langen Sommertage machten es aber immerhin möglich, die Arbeit vor Sonnenuntergang zu beenden und zu Hause zu sein, bevor die gefährliche Nachtluft hereinbrach. Viele Menschen, die in New Orleans geblieben waren, hielten es wie Josie und Louella und kehrten abends nach Hause zurück, um dem gefährlichen Miasma der Nacht zu entgehen.
Nach mehreren schlimmen Nächten in der schwülen Hitze ihres kleinen Zimmers entschlossen sich Josie und Louella dann aber doch dazu, das Risiko einzugehen. Sie befestigten eine doppelte Lage Käseleinen über dem einzigen Fenster und konnten so endlich einmal wieder eine Nacht durchschlafen, wenn auch in schweißnassen Betten. Nach wie vor wurden sie morgens wach, ohne sich wirklich erholt zu haben. Die Reizbarkeit nahm zu.
»Ich glaube, ich schlafe nächste Nacht am Fluss, Mamsell«, sagte Louella. »Das machen viele Leute so, um ein bisschen Luft zu kriegen. Ich wickle mich in ein Moskitonetz, vielleicht kann ich dann endlich mal wieder richtig schlafen.«
»Und was ist mit der Nachtluft? Wenn du die ganze Nacht da draußen bist, holst du dir mit Sicherheit das Gelbfieber.«
»Das glaube ich nicht. Es ist doch dieselbe Luft, die ich einatme, ob ich hier im Haus bin oder unter freiem Himmel. Nein, das glaube ich einfach nicht.«
»Bitte, Louella, ich will nicht, dass du das machst.«
Resigniert gab Louella klein bei und warf sich weiterhin nächtelang zwischen klammen Laken hin und her.
Jedes Jahr kroch das Gelbfieber durch New Orleans. Jedes Jahr riefen die Stadtväter zu mehr Sauberkeit und genauerer Beobachtung der Schiffe von den westindischen Inseln auf. Jedes Jahr gab es die gleichen Forderungen nach strengerer Quarantäne, und doch suchte sich das rätselhafte Fieber immer wieder seine Opfer. Es war bekannt, dass vor allem diejenigen gefährdet waren, die neu an den Fluss kamen: Die Amerikaner, die Iren, die neuen Einwanderer aus Frankreich fielen der Krankheit als Erste zum Opfer. Diese Tatsache ließ Josie hoffen, dass sie und Louella einigermaßen sicher waren. Schließlich klagten die Leute flussaufwärts auch jedes Jahr, dass die Schiffe die Krankheit bis zu ihnen brachten, also waren selbst die Plantagen nicht vollkommen in Sicherheit.
Eines Morgens war es dann so weit: Auf dem Weg zur Küche sah Josie einen Toten in der Gosse liegen. Das gelblich verfärbte Gesicht des Mannes war blutverschmiert, und schwarzes Erbrochenes bedeckte sein Hemd. Josie bekreuzigte sich und rannte den restlichen Weg bis zur Küche. Das Gelbfieber war da, und sie
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