Das Herz des Südens
machte sich Sorgen um Molly und Kathleen. Sie hatte die beiden gewarnt, nachts nicht auf die Straße zu gehen, aber sie wusste, die Mädchen gingen abends in die Kneipen, um sich als Bedienungen ein bisschen zusätzliches Geld zu verdienen. Sie würde ihnen von dem Toten erzählen und sie daran erinnern, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit zu Hause bleiben sollten.
Die Leichenwagen begannen, in den frühen Morgenstunden durch die Straßen zu rattern. »Bringt die Toten raus!«, riefen die Männer, und die Familien öffneten die Türen und reichten ihre Lieben hinaus, eingewickelt in schmutzige Laken. Die Fahrer, meistens zahnlose, schmutzige, halb betrunkene Gesellen, warfen die Leichen auf den Wagen wie ein Stück Holz und fuhren einfach weiter.
Nachdem sie in ihrer Straße eine weitere arme Seele in der Gosse hatte liegen sehen, bevor die Leichenfahrer die Straße geräumt hatten, ging Josie eines Morgens in die Kirche statt zur Arbeit. Sie zog ein paar Münzen aus ihrer Tasche, um die Kerzen zu bezahlen, die sie unter dem Standbild der Jungfrau Maria anzündete. Dort kniete sie nieder und betete für Cleo und Gabriel. »Wo auch immer die beiden sein mögen, Mutter Maria, bitte beschütze sie vor dem Fieber.« Sie betete für Phanor, für Louella und Molly und Kathleen. Sie selbst hatte als Kind eine Infektion überstanden, sie würde das Fieber nicht wieder bekommen.
Zurück in der Küche, krempelte sie die Ärmel hoch, um das erste Pfund Äpfel zu schälen. Eine Mücke schwirrte mit dem leichten Wind durch das offene Fenster an der Theke, setzte sich auf Josies Hand und wurde verscheucht. Sie flog weiter, ein winziges und doch todbringendes Wesen, und setzte sich auf die helle, sommersprossige Haut von Kathleen, die gerade eine schwere, heiße Pfanne mit Schweinefleisch in den Händen hielt und deshalb diesen Mückenstich, nur noch einen mehr nach so vielen, geduldig ertrug.
Drei Tage später kam Kathleen nicht zur Arbeit. Zwei weitere Tage später war sie tot.
38
»Cleo, das ist doch Unsinn!«, sagte Chamard. »Du bist mit Gabriel am See viel besser aufgehoben als in New Orleans.«
»Wir sind von hier, und wir kommen schon zurecht. Ich kann doch das Les Trois Frère s jetzt nicht im Stich lassen, schließlich bin ich die einzige Sängerin, die auch den Sommer über da ist.« Ein alter Streit war das. So sehr Cleo Chamard als ihren Liebhaber genoss, sie weigerte sich standhaft, sich von ihm allzu sehr vereinnahmen zu lassen. Deshalb zahlte sie auch nach wie vor ihre Miete für das winzige Häuschen selbst, in dem sie mit Gabriel und der Kinderfrau wohnte.
»Ich werde den ganzen Monat im Hotel Milneburgh sein«, sagte er. »Wenn du es dir anders überlegst, komme ich dich mit dem Wagen abholen.« Er knabberte an ihrem Hals. »Versprich mir, dass du es dir durch den Kopf gehen lässt.«
Selbst in dieser schweren, feuchten Hitze genoss Cleo seine Berührungen. Die letzten Monate mit Chamard waren ruhig und heiter gewesen. Sie fragte sich, ob sie ihn liebte. Ihre Gefühle für ihn waren anders als damals für Remy. Remy war freundlich und verletzlich gewesen, so stolz er war. Er hatte sie gebraucht, und sie hatte immer das Bedürfnis verspürt, ihn zu umsorgen. Chamard wollte ebenfalls für sie sorgen, aber sie hatte nicht den Eindruck, dass sie einander brauchten.
Sie küsste die salzige Feuchtigkeit an seiner Kehle. Er ließ eine Hand unter ihr Hemd gleiten, und so verging eine Stunde, bis er sich anzog, um zu seinem Sommersitz am Lake Pontchartrain zurückzukehren.
»Bis in einer Woche«, sagte er. »Ich glaube, länger halte ich es nicht aus ohne dich.«
Cleo richtete ihm den Kragen. »Gabriel ist wach, kannst du ihn hören?«
Chamard öffnete die Tür zum Kinderzimmer und sah Gabriel an, der einen Fuß schon auf den obersten Holm der Bettumrandung gesetzt hatte, eindeutig auf dem Sprung, aus seinem Bettchen zu entkommen, wenn er nur noch ein bisschen höher klettern könnte.
»Aha«, schmunzelte Chamard. »Jetzt ist es also so weit, hm?«
Gabriel lächelte ihn in aller Unschuld an und stellte den Fuß zurück ins Bett. Mit ausgestreckten Armen blickte er flehend zu Chamard hoch. »Hoch«, sagte er.
»Hast du das gehört?«, rief Chamard Cleo zu. »Er hat ›hoch‹ gesagt, ganz deutlich. Komm her, kleiner Mann, dein Papa rettet dich.«
Er verbrachte eine weitere halbe Stunde im Spiel mit Gabriel, bevor er das Haus verließ. Zum Abschied küsste er Cleo und bat sie wie immer: »Vergiss das
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