Das Herz des Südens
Moskitonetz nicht und trag deinen Schleier, wenn du nach Einbruch der Dunkelheit draußen unterwegs bist.«
»Aber sicher.«
Cleo stand mit Gabriel auf dem Arm auf der Schwelle ihres Hauses. »Siehst du?«, sagte sie und deutete auf den großen Hengst, der im Schatten der Eiche angebunden war. »Siehst du Papas großes Pferd?«
Chamard schwang sich in den Sattel und schreckte eine Wolke von Mücken auf, die sich im Schatten niedergelassen hatten. Er verscheuchte sie mit einem Wedeln seines Huts und winkte Cleo und seinem Sohn noch einmal zu.
Als Cleo zurück ins Haus ging, schlug sie nach einer Mücke, die sich auf ihren Nacken gesetzt hatte.
Die Straßen von New Orleans lagen in der Mittagshitze verlassen da, als Phanor auf dem Weg zu Cleos Häuschen durch die Stadt ritt. Jean Paul hatte ihn gebeten, Cleo abzusagen. Sie sollte nicht ins Les Trois Frères kommen, das Restaurant schloss seine Tore, bis das Gelbfieber sich ausgetobt hatte.
Phanor kam am Quarantäne-Krankenhaus vorbei. Der Anblick der Toten, die zur Abholung durch den Leichenwagen bereitlagen, die Schreie der fiebernden Patienten und der Geruch des Todes überwältigten ihn. Er hielt sich die Nase mit einem Taschentuch zu und spornte sein Pferd an, um schneller vorbeizukommen.
Gabriels Geschrei war schon einen Block vor Cleos Haus zu hören. Armes Kerlchen, dachte er. Wahrscheinlich hat Cleo ihn zum Mittagsschlaf hingelegt, und er hat keine Lust dazu. Wenn sie ihn aus dem Bettchen holt, reite ich ein bisschen mit ihm herum.
Aber als er sein Pferd anband, wurde er doch unruhig. Irgendetwas an Gabriels Geschrei klang nicht wie sonst. Er klopfte und trat ohne zu warten ein. Der Geruch war furchtbar, aber er eilte zum Schlafzimmer und fand Cleo kaum noch bei Bewusstsein, das Nachthemd voll mit blutig-schwarzem Auswurf. Er legte ihr eine Hand an die Stirn – sie war glühend heiß. Aber sie lebte noch. Schnell ging er zurück ins Kinderzimmer und fand Gabriel dort, der mit hochrotem Kopf laut schreiend in seinem Bettchen stand.
»Ist ja gut, Gabriel, schsch.« Phanor schob das Moskitonetz zur Seite und holte den Kleinen aus seinem Bett. Seine Kleider waren durchnässt und stanken, und er hatte so lange geweint, dass gar keine Tränen mehr kamen. Phanor hielt ihn eng an sich gedrückt und rieb ihm den Rücken, um ihn zu beruhigen. »Ist ja gut, mein Kleiner, ist ja gut. Schsch.«
Sobald Gabriel den Griff um seinen Hals ein wenig lockerte, legte Phanor ihn hin, zog ihn aus und trug ihn zum Brunnen, um einen Eimer Wasser zu holen. Er half ihm aus seiner kleinen Tasse trinken, bis er genug hatte, und dann suchte er ihm etwas zu essen: einen Pfirsich und ein Stück Brot.
»Hier, großer Junge. Du bleibst jetzt schön hier sitzen und isst deinen Pfirsich. Ich bin nebenan.«
Er ließ Gabriel nackt auf dem Boden sitzen, Tasse und Pfirsich in greifbarer Nähe, und ging zu Cleo zurück. Sie sah ihn durch schmal gezogene, blutunterlaufene Augen an, schien ihn aber nicht zu erkennen. Ihre Haut war gelblich verfärbt und heiß, sehr heiß und trocken. Phanor zog ihr das Nachthemd aus und wusch sie mit einem Schwamm. Irgendwie musste er dafür sorgen, dass sie etwas trank. Er stützte sie und versuchte, ihr eine Tasse Wasser einzuflößen, und obwohl sie halb bewusstlos war, trank sie gierig. Nach vier oder fünf Tassen brach ihr der Schweiß aus.
Im Stillen verfluchte Phanor die Kinderfrau, die wahrscheinlich einfach weggerannt war, als sie Cleos Krankheit erkannt hatte. Wie konnte man ein Kind einfach so im Stich lassen? Wenn er sie je wieder in die Finger kriegte …
Gabriel kam ins Zimmer gestapft, den nackten Bauch voller Pfirsichsaft. Er hielt sich an Phanors Knie fest und sah Cleo an. »Mama«, sagte er und wollte zu ihr ins Bett.
Phanor hob ihn auf seine Schulter. »Siehst du?«, sagte er. »Maman schläft. Komm, wir holen noch einen Pfirsich für dich. Du hast doch Hunger, oder?«
Als der Kleine satt war, nahm er ihn mit nach draußen, um beim Taubenschlag der Nachbarn nach einer Feder zu suchen. Zurück im Haus, strich er etwas Honig auf Gabriels Finger, wie er es bei seiner Schwester Lalie und ihrem Baby gesehen hatte, und gab ihm die Feder.
Dann zog er einen weiteren Eimer Wasser aus dem Brunnen hoch und trug ihn ins Schlafzimmer. Cleo hatte sich wieder erbrochen. Sie hing halb aus dem Bett, das lange Haar in der blutig-schwarzen Pfütze auf dem Boden. Phanor zog sie zurück ins Bett. Als er die Blutstropfen sah, die ihr aus Augen und Nase
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