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Das Herz des Südens

Das Herz des Südens

Titel: Das Herz des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Craig
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stand er da, die Geige unter das Kinn geklemmt. Er blickte kurz über den Fluss, dann begann er zu spielen. Erst spielte er die alten Lieblingsstücke, die man sich am Samstagabend zum Tanz wünschte. Cleo klopfte mit dem Fuß den Takt, aber bald gab sie dem Zauber der Musik nach und tanzte um ihn herum, den Rock über die Knöchel erhoben.
    Als Phanor endlich sagte: »Jetzt musst du dich ausruhen, Cleo, und ich spiele ein schönes, langsames Stück für dich«, stand ihr der Schweiß auf der Oberlippe.
    Er spielte dasselbe Menuett, das sie am Tag zuvor für ihn gespielt hatte. Es war nicht ganz genau dasselbe, ein Teil klang mehr wie eine Haydn-Variation, aber er konnte die Melodie auswendig, und er traf den Ton ganz wunderbar. Wie sie, spielte er nur nach dem Gehör.
    Als der letzte Ton verklungen war, saßen sie beide schweigend da und genossen den Augenblick.
    »Das war sehr schön, Phanor.«
    »Merci. Kannst du singen, Cleo?«
    »Aber sicher, und ich singe gern! Allerdings meistens nur, wenn ich unten in den Unterkünften bin. Kennst du das hier?«
    Sie sang ihm ein altes französisches Volkslied vor, das alle Sklaven kannten.
    Au clair de la lune Mon ami Pierrot Prête-moi ta plume Pour écrire un mot.
    Phanor nickte und nahm die Melodie mit seiner Geige auf. Cleos Stimme war ein voller Alt, klar und rein und tief. Zweimal sangen und spielten sie das alte Lied, und sie spielten es mit ebenso viel Tiefe und Reinheit wie die besten Musikanten von Louisiana.
    Cleo wünschte sich, Remy wäre bei ihnen. Er hätte auch gern Geige gespielt, oder Banjo wie der alte Jean Pierre, der für die Sklaven spielte, wenn ein Fest gefeiert wurde. Aber Remy war nur ein Feldarbeiter, und er hatte nie Gelegenheit gehabt, irgendetwas zu lernen. Dabei sang er wie ein Engel.
    »Du könntest dein Geld mit der Musik verdienen, Phanor«, sagte Cleo. »Das würde ich gern tun, singen und Klavier spielen, ein schönes Kleid tragen, und alle würden applaudieren und sagen: ›Mademoiselle Cleo, singen Sie doch noch mal für uns.‹« Sie lachte über ihre eigene Eitelkeit. »Aber du, Phanor, du könntest wirklich bis nach New Orleans kommen und dort reich werden.«
    Phanor lachte. »Glaubst du? Eigentlich spiele ich lieber hier auf dem Deich einem hübschen Mädchen was vor.«
    Cleo nahm das Kompliment mit einem Lächeln an, wusste aber inzwischen genug über junge Männer, um zu begreifen, dass eine flinke Zunge nicht unbedingt die wahren Gefühle verriet. Wenn Remy doch mit Worten so leicht spielen könnte wie Phanor! Aber sie wusste auch so, wie es um sein Herz stand.
    »Kann Josie auch so gut spielen wie du?«, fragte Phanor.
    Cleo dachte einen Moment nach. »Josie bemüht sich zu sehr. Sie versucht zu spielen, indem sie über die Noten nachdenkt.«
    »Ah«, nickte Phanor. »Das ist nicht gut. Wann kommt sie zurück?«
    »Samstag.« Kann er denn nur an Josie denken?, fragte sie sich.
    »Das heißt, morgen kannst du noch mal kommen?«, fragte er.
    »Ich glaube schon. Ich versuche es auf jeden Fall.« Cleo stand auf und strich ihr Kleid glatt. »Wie wäre es nach dem Abendessen?«, fragte sie. »Vielleicht kann Remy dann auch kommen. Er kann besser singen als irgendjemand sonst.«
    »Abgemacht, morgen Abend.« Er machte eine Handbewegung Richtung Pantinen. »Soll ich dir helfen, die Dinger wieder anzuziehen?«
    Cleo schüttelte den Kopf. Sie hielt die schlammigen Überschuhe in einer Hand, ihre Stiefel in der anderen. »Du hast schon recht, es ist einfacher, sich hinterher schnell die Füße zu waschen.« Sie umging eine große Pfütze und drehte sich noch einmal um, um zu winken. »Bis morgen, Phanor.«

10
    Am zweiten Tag eroberte sich die Sonne den Himmel zurück, und Mr Gale zog alle kleinen Jungen ab, die er auf dem Deich postiert hatte. Der Sonnenschein verleitete ihn zu der Annahme, dass die Gefahr eines Deichbruchs einstweilen gebannt war. Doch er hatte nicht sein ganzes Leben am Mississippi verbracht und wusste deshalb nicht, wie das Wasser im Untergrund weiterarbeitete.
    Emile zog sich wie immer aus den Einzelheiten der Plantagenwirtschaft zurück und überließ seiner Mutter und Mr Gale das Feld. Er holte seine Hunde zu einer morgendlichen Auerhahnjagd zusammen und war glücklich, als die Tiere um ihn herumsprangen und bellten.
    Cleo sang bei der Arbeit, so sehr war sie voller Vorfreude auf den Abend. Remy würde fast bis zum Anbruch der Dunkelheit auf dem Feld sein, aber sie würde ihm ein Abendessen einpacken, dann konnte er

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