Das Herz des Südens
Laurie, du kommst mit mir. Wir brauchen vor allem Decken und Laken.«
Sie sammelten Wolldecken und Bettwäsche ein, wo sie sie finden konnten. Sie bereiteten Verbände vor und machten Liegestätten auf dem Boden. Laurie suchte alles Trinkwasser zusammen, das sich im Haus noch fand.
Den ganzen Nachmittag brachten die Männer mit den Booten jene armen Seelen ins Haus, die sie irgendwo aufgesammelt hatten. Die Toten wurden auf der Veranda abgelegt, und Cleo fragte sich, wie lange sie dort wohl liegen bleiben konnten, bevor … Sie wollte gar nicht darüber nachdenken.
Die Sklaven, die noch am Leben waren, wurden auf der hinteren Veranda untergebracht, wo Cleo ihnen half, die trockenen Bretter zu erreichen. Einige von ihnen standen unter Schock und waren ebenso still wie die Toten. Sie legten sich nieder und schlossen die Augen.
Diejenigen, deren Verstand nicht gelitten hatte, beteten, sangen oder stöhnten. Eine Frau, die drei Kinder in der Flut verloren hatte, schrie mit lauter, hoher Stimme, und eine alte Großmutter saß auf dem Boden, schaukelte mit dem Oberkörper und weinte mit ihr.
Bei jedem Boot – vier Boote waren verfügbar, um nach Überlebenden zu suchen – blickte Cleo die Menschen genau an, immer auf der Suche nach ihren Lieben. Während die Abenddämmerung hereinbrach, sah sie eindringlich die acht oder neun dunklen Gesichter in dem letzten Boot an.
»Grand-mère«, rief sie, ohne selbst zu merken, dass sie Madame Emmeline bei ihrem Kosenamen gerufen hatte. »Da ist Thibault!«
Emmeline kam eilig aus dem Salon gelaufen. »Wo?«
Cleo deutete mit dem Finger. »Da, hinten im Boot!« Sie rief laut nach ihm.
Thibault hob den Kopf. Als er Cleo erkannte, stellte er sich hin, aber irgendjemand hielt ihn zurück. Sobald das Boot die Treppe zur Veranda berührte, streckte Cleo die Hand nach ihm aus und zog ihn aus dem Boot. Sie schloss ihn in die Arme und schaukelte ihn vor und zurück.
Thibault versuchte, sich freizumachen, aber sie ließ ihn nicht mehr los. »Cleo, ich krieg ja gar keine Luft!«, protestierte er.
Lachend ließ sie ihn frei und wischte sich die Tränen ab, während Madame Emmeline näher trat. Mit einer unerwartet sanften Bewegung strich sie dem Sohn ihres Sohnes über den Kopf, und Thibault bedankte sich mit einem breiten Lächeln.
Cleo legte ihrem Bruder beide Hände auf die Schultern und drehte ihn zu sich um. »Thibault, was ist mit Maman und Grammy Tulia?«
Er lächelte immer noch, aber sein Blick war leer.
»Hast du Maman und Grammy schwimmen sehen, Thibault?«
»Grammy sagt, sie ist zu alt zum Schwimmen.«
»Warst du auf einem Dach, als sie dich gefunden haben? Oder auf einem Baum?«
»In einem großen alten Baum. Ich und der Hahn, Kikeriki!«
»War Maman mit dir auf dem Baum? Und Grammy? Hast du sie im Wasser gesehen? Denk nach, Thibault, versuch, dich zu erinnern!«
»Maman hat dem Mann geholfen, mich auf den Baum zu heben. Sie hat gesagt, ich soll mich festhalten, und das habe ich getan.«
»Was für ein Mann?«, fragte Madame Emmeline.
»Na, Monsieur! Der Mann, der mir immer Lakritze und Stöckchen mitbringt.«
Cleo fing Madames Blick über Thibaults Kopf hinweg auf. Er meinte offensichtlich Emile. Emile hatte sich durch den Fluss gekämpft, um seinen Sohn zu retten. Aber Emile konnte auch schwimmen. Er hatte sich sicher um Bibi gekümmert, war mit ihr der Strömung gefolgt, bis sie irgendwo einen Baum oder ein Dach zu fassen bekamen.
Cleo wollte das so gern glauben, aber sie hatte gesehen, wie gewaltsam das Wasser am Haus vorbeigeströmt war. Sie setzte ein tapferes Gesicht auf, solange Madame Emmeline in der Nähe war. »Sie warten irgendwo auf Hilfe, so wird es sein. Morgen. Morgen wird man sie finden, ganz sicher.«
Mr Gale kletterte auf die Veranda hinter ihnen. »Madame, jetzt ist es zu dunkel, um noch weiterzusuchen. Beim ersten Tageslicht lasse ich meine vier Bootsbesatzungen wieder losfahren, und ich bin sicher, wir finden noch viele. Einige sind bestimmt bis hinunter zu den Cherleus mitgerissen worden. Aber an einer Nacht im Wasser stirbt man nicht, und morgen früh sammeln wir sie alle wieder ein.«
»Ich danke Ihnen, Mr Gale«, sagte Emmeline langsam, dann küsste sie Thibault zögernd auf den Scheitel und machte weiter damit, die Schnitt- und Schürfwunden ihrer Sklaven zu versorgen.
Cleo nahm Thibault mit ins Haus, damit er das schreckliche Wasser nicht mehr sehen musste. Sie saß mit ihm auf dem Sofa und hielt ihn fest an sich gedrückt. Er war
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