Das Herz des Südens
versuchten sie sie noch zurückzuhalten.
»Es wird jetzt nicht sehr angenehm dort sein, Miss Josephine«, sagte Albany beim Morgenkaffee. »Ein Teil des Landes steht noch unter Wasser, und der Boden rund um das Haus ist sicher noch tief und schlammig. Sie werden wochenlang ans Haus gefesselt sein, wenn Sie jetzt heimfahren.«
Aber an diesem Ort, umgeben von Menschen, die ihr nahezu fremd waren, musste Josie ständig darum kämpfen, ihre Trauer zu unterdrücken, endlose, lähmende Tage lang. Sie konnte ihren Gefühlen keinen Ausdruck verleihen, konnte nicht weinen oder einfach so lange schweigen, wie ihr Kummer es verlangte.
Sie musste nach Hause. Sie musste bei den Menschen sein, die ihren Kummer mit ihr teilten, bei Cleo und Grand-mère und Thibault. Sie brauchte diese Menschen, und sie wurde dort gebraucht.
Heftig schüttelte sie den Kopf. »Ich muss nach Hause, wie groß die Schwierigkeiten auch sein mögen. Ich flehe Sie an, Mr Johnston«, wandte sie sich an Abigails Vater. »Sie können sich doch sicher vorstellen, wie schrecklich es ist, untätig herumzusitzen, wenn zu Hause so viel zu tun ist.«
Mr Johnston hob eine Augenbraue und sah seine Frau an, in der Hoffnung, sie würde etwas dazu sagen. Albany begann einen neuen Protest: »Es ist einfach nicht …«
»… sicher? Ich denke, ich bin auf Toulouse ebenso in Sicherheit wie meine Großmutter oder jeder andere.« Josie erhob sich. »Würden Sie jetzt bitte die Flagge auf dem Anleger hochziehen, damit das nächste Boot hier anhält? In einer halben Stunde bin ich reisefertig.«
Bertrand Chamard hatte sich an der Diskussion nicht beteiligt, aber nun, da Josie der Sache offenbar ein Ende bereitet hatte, entsann er sich seiner familiären Verpflichtungen. »Du musst nicht allein reisen, Josephine. Ich begleite dich.«
»Ich helfe dir beim Packen«, erbot sich Abigail. Selbst in den letzten Tagen, mit ihren Gedanken weit weg, hatte Josephine die Eifersucht ihrer Freundin deutlich gesehen. Wenn Josie abreiste, hatte Abigail Monsieur Chamard endlich ganz für sich. Arme Abigail, denn Bertrand fand sie offenbar eher etwas langweilig.
Am frühen Nachmittag legte ein Dampfer an und nahm Josie und Chamard an Bord. Albany legte die Hand an seinen Hut und Abigail winkte, als das Boot gegen die Strömung anfuhr und endlich die Fahrrinne wieder erreichte.
Auf dem Weg flussaufwärts standen Josie und Bertrand auf dem oberen Deck in der Sonne. Die leichte Brise kühlte angenehm, und Bertrand lehnte an der Reling neben ihr. Er war ein freundlicher Mann, ebenso freundlich wie Phanor. Sie konnte nur hoffen und beten, dass er immer in ihrer Nähe sein würde.
Er sprach wenig und überließ Josie ihren Gedanken. In diesen endlosen Tagen hatte Josie seine Gegenwart trotz ihres Kummers deutlich gespürt, und nun studierte sie seine Hände auf der Reling. Sie waren breit und sonnengebräunt, und rechts zog sich eine Narbe über den Knöchel des Mittelfingers. Abigail hatte erzählt, dass er sich in Paris, in den Tuilerien, duelliert und einen Mann getötet hatte. Ob es dabei um eine Frau gegangen war?, fragte sie sich.
Bertrands Gedanken kreuzten sich mit ihren. »Das Land«, sagte Bertrand, »das Land bleibt. Du hast immer noch das Land, Josie, und das solltest du nicht geringschätzen.«
Eine Erinnerung stieg in ihr auf, die Erinnerung an einen Ausritt über Toulouse auf dem großen Pferd ihres Vaters. Er hatte das Land geliebt. Er hatte sich nicht sehr viel mit dem Betrieb der Plantage beschäftigt, aber die Wälder und Felder und das weite Sumpfland lagen ihm zutiefst am Herzen. Josie umfasste die Reling. O Gott. Toulouse ohne Papa und Bibi.
Als das Schiff anlegte, verdrängt heiße, feuchte Luft die Brise, die auf dem Fluss geherrscht hatte. Der Kapitän machte Zeichen, dass er auf Bertrand warten würde, und Josie ging mit ihrem Cousin von Bord. Der Deich lag verlassen da, sodass die Stille mit Händen zu greifen war. Niemand war gekommen, um nach dem Schiff zu sehen, kein Vogel sang, nichts.
Wo die Flut die Rinde der Bäume weggerissen hatte, standen die Stämme gelb und kahl, aber immerhin, sie waren stehen geblieben und flankierten nach wie vor die Straße vom Fluss zum Haus hinauf. Das Haus selbst lag am anderen Ende der schattigen Auffahrt im Sonnenschein, aber die geöffneten Läden rahmten nichts als dunkle, stille Fenster ein.
Die Sklaven hatten die ganze Länge der Allee mit Holzplanken belegt, und Bertrand stützte Josie am Ellbogen, als sie
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