Das Herz des Südens
hinaufgingen, wobei sie die Bretter tief in den Schlamm drückten. Statt des üblichen sommerlichen Duftes von Rosen und Magnolien kam ihnen der Geruch von nasser Erde, Moos und Verfall entgegen.
Cleo öffnete ihnen die Tür. Mit erhobenen Armen ging Josie auf sie zu. Sie hatte Cleo so sehr vermisst, wollte sie so gern umarmen, aber das regungslose Gesicht der Freundin ließ sie zögern. Cleo hatte entsetzlich abgenommen und jede Spur ihres schelmischen Charakters oder auch nur von Freude verloren.
»Hallo, Mademoiselle Josephine«, sagte sie nur. Dann nahm sie Bertrand den Hut ab und schickte Laurie nach oben, um Madame Emmeline zu rufen.
Als Grand-mère Emmeline das Zimmer betrat, waren ihre Schritte so vorsichtig und langsam, dass Josie zu ihr eilen wollte. Aber eine Geste ihrer Großmutter hielt sie zurück.
»Josephine«, sagte Grand-mère, und es war nicht mehr als eine Feststellung. »Monsieur Chamard. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie meine Enkelin nach Hause gebracht haben.«
»Und ich freue mich, Sie wohlauf zu sehen, Madame. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas sagen, das Sie in Ihrem Schmerz tröstet.«
»Wollen Sie sich nicht setzen, Monsieur?«
»Ich bitte vieltausendmal um Entschuldigung, Madame Tassin, aber ich kann das Schiff nicht länger warten lassen. Ich muss weiter nach Baton Rouge, und der Kapitän hat eine Pause eingelegt, nur damit ich Josephine sicher hier abliefern kann.«
»Wir schulden Ihnen viel, Monsieur.«
»Ich bitte Sie, wir sind doch Verwandte. Nennen Sie mich doch bitte Bertrand – und ich hoffe, ich darf Sie Madame Emmeline nennen.«
Madame setzte ihr Lächeln auf, das für öffentliche Auftritte reserviert war, und legte den Kopf schief. »Aber selbstverständlich.«
Er nahm seinen Hut von dem Tischchen, wo Cleo ihn abgelegt hatte. »Josephine, ich hoffe, deine Seele wird hier wieder etwas zur Ruhe kommen. Jetzt bist du zu Hause. Au revoir, meine Damen.«
Ja, nun war sie zu Hause, aber sie fragte sich, wie sie die überwältigende Aura von Trauer in diesem Haus ertragen sollte. Sie hatte doch schon so viel Seelenkummer mitgebracht! Sie folgte Bertrand auf die Veranda, wollte ihn nicht gehen lassen. »Bertrand …«, begann sie. Es schien, als wäre er der einzige Funken Leben in diesem Haus.
»Die Zeit heilt alle Wunden«, sagte er voller Mitgefühl zu ihr. Nach einem kurzen Blick Richtung Salon beugte er sich vor und küsste sie zart auf die Lippen. »Wir sehen uns wieder, Josie.«
14
Toulouse
Toulouse war ein Haus der einsamen Seelen geworden. Emmeline, Cleo und Josephine stolperten durch die Tage wie Gespenster, und ihre Wege kreuzten sich, ohne dass sie einander zu bemerken schienen. Das Wasser hatte sich zurückgezogen, Mr Gale hatte den Deich wiedererrichtet, und aus dem durchnässten Boden spross das erste Gras. Aber die Rosen wollten nicht blühen, und auf den Feldern wuchs kein Zuckerrohr.
Josie und Cleo lebten immer noch im selben Haus, schliefen im selben Zimmer, aber ihr Kummer war so groß und tief, dass keine den Mut hatte, die Hand nach der anderen auszustrecken. Sie waren ebenso niedergeschlagen wie Grandmère, und es stand so viel zwischen ihnen, dass sie keine Worte fanden.
Dampfwolken standen über der durchnässten Erde, auf die die Sonne herabschien. Was nicht wachsen konnte, verrottete im Boden, sodass sich überall Gestank ausbreitete. Das stehende Wasser faulte vor sich hin, und Horden von Fliegen stiegen aus dem Schmutz auf.
Dr. Benet fürchtete einen Ausbruch von Cholera. Die Menschen waren von Kummer und Überarbeitung geschwächt, und was auch immer die Krankheit auslösen mochte, der Arzt war sich sicher, dass die Bedingungen schlimmer nicht sein konnten. Er zog zu ihnen in die Garçonnière und wartete.
Als Erste wurde die alte Hebamme Ursuline krank. Nachdem Dr. Benet sie in ihrer kleinen dunklen Hütte untersucht hatte, kam er zum Haus zurück, um Madame und Josie Bericht zu erstatten.
»Es ist tatsächlich Cholera, da bin ich sicher.«
Josie legte eine Hand über ihre Augen. In der Zeitung hatte sie Artikel über die Asiatische Cholera gelesen, die während der letzten fünf Jahre erstmals auf dem amerikanischen Kontinent aufgetreten war, und sie wusste, wie hoch die Sterblichkeitsquote war. Lieber Gott, bitte, nicht noch mehr Tote.
Dr. Benet ließ sie allein, um sich für die kommende Schlacht zu wappnen. Josie zog sich mit Kopfschmerzen in ihr Zimmer zurück, wo sie Cleo antraf, die sich gerade das Kleid anzog, das sie
Weitere Kostenlose Bücher