Das Herz des Südens
Bibi ihr ein Zeichen mit den Augen. Cleo beugte sich dicht über ihren Mund. »Singst du für mich?«, bat Bibi flüsternd.
Und Cleo sang; sie kämpfte mit den Tränen, die sie überwältigen wollten, aber sie sang. Phanor nahm seine Geige und spielte leise mit. Bibis Atem wurde flacher. Und irgendwann kam der gnädige letzte Atemzug, rasselnd und rau, und dann lag sie ganz still.
»Maman?«, flüsterte Cleo. Aber es gab keinen Zweifel, sie war hinübergegangen.
Cleo schluchzte auf und warf sich über den Leib ihrer Mutter. Sie raufte sich das Haar und weinte laut. Maman hatte es nicht verdient, zu sterben. Die Sünde hatte Monsieur Emile begangen, nicht sie. Alles, was Maman jemals getan hatte, war lieben: Emile, Thibault und sie – und Josie, der sie nichts schuldig war. Sie hatte sie alle geliebt.
Irgendwann blieb Cleo erschöpft liegen. Dann setzte sie sich auf, und Phanor half ihr aufzustehen. Beim Licht der Laterne wischte er mit einer sanften Bewegung das Blut von Cleos Stirn und führte sie zu einem Stuhl. Eulalie reichte ihm eine Tasse mit Wasser, und er hielt sie ihr an die Lippen.
Als sie sich etwas erholt hatte, küsste Cleo ihre Mutter und legte ihr die Hände auf die Brust. Maman schien so viel kleiner geworden zu sein, und immer noch so weit entfernt von der Stille.
Phanor kniete sich mit Cleo neben das Bett, um zu beten. In einer Zimmerecke weinte Eulalie leise vor sich hin, ihr kleines, großäugiges Baby auf dem Schoß.
Als ein weiteres Boot an den Pfeiler der Veranda stieß, war es vollkommen dunkel geworden. »Das wird mein Vater sein.« Phanor ging nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Cleo konnte ihn sprechen hören, verstand aber kein Wort.
Es war so unwahrscheinlich, so unvernünftig, anzunehmen, dass Monsieur DeBlieux auch ihren Vater gefunden haben könnte. Aber sie musste es wissen, sie musste nachsehen. Cleo öffnete die Tür zur Veranda und trat hinaus. Die Männer standen im gelben Schein der Laterne, um sie herum die schwarze Nacht des Sumpflandes. Phanors Papa und Eulalies Mann versperrten ihr die Sicht auf das Boot.
»… keine zwanzig Meter von dem Platz, wo wir sie gefunden haben«, sagte Monsieur gerade.
»Warte, Cleo.« Phanor trat an ihre Seite und wollte sie am Arm festhalten. Sie schüttelte ihn ab und trat zwischen die Männer, um in das Boot zu sehen, und dann gaben ihre Beine nach, und die Männer mussten sie festhalten, damit sie nicht in das schwarze Wasser fiel.
Er war es tatsächlich.
Monsieur Emile.
Ihr Papa.
13
Johnston-Plantage
Auf der Plantage der Johnstons durchlitt Josie jede Minute in furchtbarem Schrecken. Sie hörte nichts, wusste nicht, wer überlebt hatte und wer tot war, und die Sorge raubte ihr den Appetit ebenso wie den Schlaf.
Die Boote, die irgendwann doch wieder am Anleger der Johnstons hielten, berichteten, dass Madame Emmeline Tassin nach wie vor über Toulouse herrschte, aber man wusste nichts von all den anderen, deren Schicksal Josie zu erfahren hoffte. Sie hatte einen Rosenkranz in der Tasche und bewegte ihn ständig durch ihre Finger.
Die Angst mischte sich mit Schuldgefühlen und Reue, und diese Mischung drohte Josie zu erdrücken. Sie hatte begriffen, dass die Liebe ihres Vaters zu Bibi nichts mit seiner Liebe zu ihr zu tun hatte. Sie hatte ihn seit der Beerdigung ihrer Mutter so sehr gehasst, und sie hatte keinen Hehl daraus gemacht. Was, wenn sie ihn nun niemals wiedersah? Oder Cleo? Auch ihre Schwester hatte sie in letzter Zeit nicht gerade freundlich behandelt, und wie sehr vermisste sie sie jetzt! Die Stunden und Tage blieben fast stehen. Sie zog sich an, frisierte sich, saß mit den Johnstons am Tisch, aber ihr Herz und alle ihre Gedanken waren in Toulouse.
Am vierten Tag unter einem strahlend blauen Himmel saß sie mit Abigail auf der oberen Veranda, Josie mit ihrer Stickerei im Schoß, obwohl sie die Nadel seit einer Stunde nicht angerührt hatte. Sie konnte das Frachtschiff riechen, bevor es um die Flussbiegung kam und zum Anleger beidrehte. Josie vermutete, dass es eine Ladung Dünger für die Felder transportierte, aber dann kam Mr Johnston zum Haus geritten.
»Abigail«, rief er, »geh mit Miss Josephine ins Haus. Geht in dein Zimmer, frisiert euch, was auch immer, aber bleibt bis zum Abendessen dort.«
Abigail diskutierte nicht, fragte nicht nach dem Grund. »Ja, Vater«, sagte sie, und mit einer Hand an der Nase griff sie nach ihrer Näharbeit und ihrem Buch. »Komm, Josie.«
Josie zögerte einen
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