Das Herz des Südens
du kannst sie hinauf zum Haus tragen?«
»Sie wiegt doch fast nichts, natürlich bringe ich sie nach Hause.«
Josie hätte ebenso gut ein schlafendes Kleinkind sein können, als Luc sie zwischen den Pecanbäumen hindurch zum Haus trug. Als die Sonne sie am nächsten Morgen weckte, lag sie in ihrem eigenen Bett, und Cleo schlief in ihrem Bett auf der anderen Seite des Zimmers.
Nun, da die Krankheit überwunden war, kämpfte allerdings die Plantage ums Überleben. An ihrem Schreibtisch saß Madame Emmeline, genauso erschöpft wie ihre Enkelin, und strich die Namen der Toten aus ihren Büchern. Wenn sie die Aufgaben des kommenden Jahres mit den Arbeitskräften verglich, die ihr blieben, war sie der Verzweiflung nahe.
Albany Johnston kam zweimal zu Besuch, aber Josie hatte ihm nicht viel zu sagen. Sie hatte überhaupt nicht viel zu sagen. Sie und Grand-mère hatten weder die Kraft für Plaudereien noch die Beziehung, um tiefer gehende Gespräche zu führen. Cleo schien ihr eigenes Leben zu leben; abends traf sie sich mit Remy und kam immer später nach Hause. Josie schlief viel und machte lange, einsame Spaziergänge.
Eines Nachmittags saß sie an ihrem Schreibtisch und versuchte, einen Brief an Tante Marguerite zu schreiben. Der Schweiß lief ihr in Strömen hinunter, und ihre Unterarme zerknitterten das Papier. Ständig musste sie mit der Hand die Fliegen verscheuchen, die von der Tinte angezogen wurden, und dabei verteilte sie regelmäßig Kleckse über das Blatt.
Sie starrte die tränenförmigen Tropfen auf dem cremeweißen Bogen an. Der Brief war ruiniert, sie musste ihn noch einmal schreiben. Sie legte den Kopf auf die verschränkten Arme und weinte. In ihr war kein Trost mehr, sämtliche Reserven waren aufgebraucht.
Irgendwann kam Cleo herein, die im Nebenzimmer Bettwäsche zusammengefaltet hatte. Sie ging zu Josie hinüber und legte ihr eine Hand auf den Rücken. »Setz dich hin«, sagte sie ruhig.
Josie wischte sich die Augen ab und putzte sich die Nase. Cleo faltete das verdorbene Papier zusammen und steckte es in die Tasche. »Hier«, sagte sie und legte ihr ein frisches Blatt hin.
»Danke.« Josie begann den Brief von Neuem, und Cleo kehrte an ihre Arbeit zurück.
Als die Sonne an diesem Abend unterging, saß Dr. Benet auf der vorderen Veranda und genoss eine Zigarre und den Luftzug vom Fluss, als er Josephine ziellos die Eichenallee hinunter zum Deich gehen sah. Ihre Schultern hingen wie bei einer alten Frau, dachte er, und selbst von hier aus konnte er sehen, dass sie sich nicht frisiert hatte.
Das arme Kind. Es war alles zu viel für sie. Und ihrer Großmutter ging es nicht anders. Müdigkeit, Sorge und Kummer hatten Emmeline in kürzester Zeit ein Dutzend Jahre älter werden lassen. Dr. Benet verschrieb ihr ein Schlafmittel in der Hoffnung, ihr auf diese Weise neue Kräfte zukommen zu lassen, aber ihr Gesicht wurde immer grauer, und ihre Augen hatten den scharfen Glanz verloren, den er immer so sehr bewundert hatte.
Am Morgen seiner Abreise klopfte der Doktor an die Tür zu Emmelines Arbeitszimmer. »Guten Morgen, Emmeline.«
Sie deutete auf den großen Ledersessel beim Fenster, und er ließ sich nieder. »Bevor ich abreise, muss ich noch etwas mit Ihnen besprechen.«
»Bitte.« Sie machte eine Bewegung zu Laurie, ihnen die Fliegen vom Leib zu halten.
»Es geht um Sie und Josephine, meine Liebe. Die Schwermut in diesem Haus ist grauenhaft.«
Emmeline stützte ihre Stirn in die Hand und starrte vor sich hin auf den Boden.
»Ich weiß«, sagte der Doktor sanft. »Wie könnte es auch anders sein? Aber wissen Sie, ich mache mir Sorgen um Josephine. Das Kind steht ja vollkommen unter Schock. Selbst wenn dieser junge Mann, dieser Johnston, zu Besuch kommt, wacht sie kaum aus ihrer Apathie auf.«
»Ich fürchte, das liegt zum Teil auch an diesem jungen Mann.«
»Aber nur zum Teil, das müssen Sie doch einsehen. Josephine hat vollkommen den Boden unter den Füßen verloren vor lauter Trauer und Kummer.«
In Emmelines Gesicht war keine Regung zu sehen. Ihre Augen, die immer so wachsam gewesen waren wie die eines Raubvogels, sahen jetzt flach und trüb aus. »Jeder hier auf Toulouse hat einen lieben Menschen verloren, François. Mehr als einen.«
»Ich weiß. Es tut mir leid, Emmeline.«
Die Wanduhr tickte laut, während Laurie vorsichtig den Fächer bewegte, um die Fliegen zu verscheuchen. Endlich sagte Emmeline: »Was würden Sie empfehlen? Ich kann dem Kind ja weder den Vater noch die
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