Das Herz des Werwolfs (German Edition)
höchstens ein paar Schritte gegangen, als auch schon das gespenstische Heulen eines Wolfs in der klaren Nachtluft erklang, und es schien sehr nah. Kurz darauf heulte ein weiterer, dann noch einer. Immer mehr schlossen sich dem ersten an, wurden lauter und melodischer und schließlich zu einem ganzen Chor, als ob sie gemeinsam singen wollten.
Ihre Nackenhaare stellten sich auf bei dem Klang, wild, gefährlich und geheimnisvoll schön. Aber gleichzeitig waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt, und sie hatte eine Gänsehaut.
Dayn blieb mitten auf dem Pfad stehen. „Verflucht, wir sind zu spät, um ihnen zuvorzukommen. Und wir sollten auf gar keinen Fall das Blutmond-Ritual unterbrechen.“ Er hielt inne und dachte nach. „Ich will ihnen heute Nacht lieber nicht begegnen, besonders nicht mit dir, also müssen wir uns irgendwo außer Sichtweite verstecken.“ Er sah zuseiner Hütte zurück.
„Da nicht“, sagte sie schnell.
Er nickte und deutete zur Seite, wo die Bäume einen steilen felsigen Hügel hinauf wuchsen. „Dort ist eine Höhle, die ich manchmal benutze. Da können wir ein oder zwei Stunden bleiben.“
„Eine Höhle“, wiederholte sie, anscheinend nicht in der Lage, mehr als zwei Wörter auf einmal auszusprechen. Plötzlich spürte sie sehr deutlich die Kälte, die durch ihr Hemd und das dünne Leder ihrer Jacke drang, und schlang die Arme fest um sich. Das konnte alles nicht tatsächlich geschehen, es war zu unwirklich. Und doch wirkte Dayn auf eine seltsame Art echter als jeder andere, den sie seit langer Zeit getroffen hatte. Er war klug und lebhaft, er zog ihren Blick auf sich, sie wollte ihn anstarren, ihn anfassen. Sie hatte ein Kribbeln im Bauch gespürt, als er ihre Hand geküsst hatte. Was würde geschehen, wenn er ihre Lippen küsste? Wenn er noch mehr tat?
Konzentrier dich. Hör auf, abzuschweifen. Du musst hier raus, statt zu fantasieren.
„Hier.“ Er kramte in seinem Rucksack und nahm einen zweiten Pullover heraus. „Ich dachte mir, du möchtest dir vielleicht noch was überziehen. Es sei denn, deine Jacke ist eine von diesen neumodischen mit Thermobeschichtung.“
„Ist sie nicht.“ Sie zog die Lederjacke aus und nahm den Pullover von ihm. Er hatte eine dunkle Farbe und war aus einem leichten, fast luftigen Material, das leicht kratzte, wie Wolle. Sie musste etwas sagen, das mehr als zwei Silben hatte und sie vielleicht davon ablenkte, wie seltsam es wäre, seine Kleidung zu tragen. „Okay, du trägst einSchwert, aber du weißt, was Thermobeschichtung ist. Was ist hier los?“
Er zögerte. „Es gibt hier einige, die zwischen deiner Welt und dieser hin- und herreisen, also ist ein bisschen eurer Technologie herübergebracht und angepasst worden, damit sie auch hier funktioniert. Ich selbst stamme aus der Welt der Königreiche, die auf reiner Magie basiert. Deshalb das Schwert.“
„Gibt es diese Überschneidungen auch zwischen deiner Welt und dieser?“ Sie versuchte Zeit zu schinden, indem sie weiterfragte, obwohl sie ihm kein Wort glaubte. Aber sie hatte erotische Träume von ihm gehabt, während er anscheinend darauf gewartet hatte, dass sie auftauchte, um ihn irgendwo hinzubringen! Und sie wollte seinen Pullover nicht anziehen. Doch, wollte sie, weil es eiskalt war, und der Pullover nach ihm roch – eine Mischung aus Pinie, Moos und Minze.
Ich verliere wirklich den Verstand, oder? Der Gedanke ließ erneut Angst in ihr aufkeimen.
Er blickte zurück in die Richtung, aus der das Heulen kam. „Die Verhältnisse zwischen meiner Welt und dieser sind viel komplizierter. Und wir sollten uns beeilen, ehe die Späher des Rudels uns sehen.“
„Tut mir leid.“ Sie hielt den Atem an, zog den Pullover über den Kopf und strich ihn an ihrem Körper glatt, wo er sich unerwartet eng an ihre ziemlich ausgeprägten Kurven schmiegte. Aber das war ihr egal, weil ihr bereits wärmer wurde, beinahe angenehm. Sie stieß ein leises Seufzen aus und murmelte: „Oh ja. Das ist gut.“ Sie vermied es aber, sich in den Pullover einzukuscheln oder auch nur tief einzuatmen, und nickte nur. „Okay. Du gehst vor.“
Er stieß ein leises Geräusch aus, rückte sein Gepäck zurecht und ging den Pfad hinauf in den mondbeschienenen Wald. Zumindest musste es einen Pfad geben. Sie konnte nichts erkennen, aber er führte sie den steilen felsigen Abhang so behände hinauf, dass sie sich hinter seinen fast lautlosen Schritten trampelnd und ungelenk fühlte. Nach zehn, vielleicht fünfzehn Minuten
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