Das Herz des Werwolfs (German Edition)
winkte er sie zu sich auf einen breiten flachen Vorsprung vor einem dreieckigen Höhleneingang.
„Warte hier. Drinnen habe ich Licht und ein paar Vorräte.“ Er schlüpfte in die Dunkelheit. Einen Augenblick später glomm ein sanftes Licht auf, und er rief: „Komm ruhig rein.“
Sie zog den Kopf ein und folgte ihm. Er stand geduckt etwa in der Mitte eines niedrigen Tunnels, der von zwei riesigen Platten aus glattem porösem Fels gebildet wurde, die aneinanderlehnten. In seiner Handfläche hielt er ein kleines Rechteck, von dem blauweißes Licht und ein leises Summen ausgingen.
„Die Wolfyn kommen nicht hier herauf“, sagte er. „Sobald sie mit dem Ritual fertig sind, rennen sie für den Rest der Nacht durch das Tiefland. Mondzeit, weißt du?“
Sie hörte nicht richtig zu, denn als er „Wolfyn“ gesagt hatte, hatte ihr Magen sich verkrampft, und sie dachte zurück an den Holzschnitt und die durchtriebene, böse Kreatur, die das unschuldige Rotkäppchen verführt hatte. Ihr wurde schwindlig, und sie ließ sich gegen die Wand sinken. „Das waren Wolfyn da draußen?“
Er nickte. „Du würdest sie Werwölfe nennen. Sie sind Formwandler. Von Mensch zu Wolf. Und wieder zurück.“ Er hielt inne und verstellte etwas an seiner Lampe. „Ichweiß nicht, was die Legenden besagen, wo du herkommst, aber hier brauchst du keine Angst vor ihnen zu haben. Sie behandeln Gäste in ihrer eigenen Welt gut. Das ist Teil der Traditionen, nach denen sie leben.“
Ihr Herz klopfte so schnell, dass ihre Brust schmerzte, und ihre Beine und Arme kribbelten, wie vor einer Panikattacke. Einer heftigen. Durchatmen , sagte sie sich. Du schaffst das. Die Wolfyn waren bloß ein Teil ihrer Halluzination. Sie konnten ihr nichts tun, konnten sie nicht unter Drogen setzen und sexuell unterwerfen und sie dann fressen, nachdem sie alle anderen Bedürfnisse gestillt hatten. Im Augenblick waren sie nur ein Geräusch am Horizont. Außerdem waren die Geschichten, die ihre Mutter von ihnen erzählt hatte, nur Allegorien gewesen, symbolische Warnungen davor, sich mit dem falschen Mann einzulassen.
Oder?
Ruhig atmen. Nicht den Verstand verlieren. Er war nicht der Prinz aus ihren Tagträumen, und sie war nicht wirklich in einer anderen Welt. Sie trug nicht einmal wirklich diesen Pullover, auch wenn ihr jetzt viel wärmer war, einerseits wegen der zusätzlichen Kleidung, aber auch, weil die Höhle so eng war, dass Dayns und ihre Knie immer wieder aneinanderstießen und er in ihrem Unterbewusstsein ständig präsent war. Ihre rasenden Gedanken waren verängstigt, verwirrt und frustriert, aber ihr Körper nahm seinen sehr deutlich wahr.
Als er sich an die gegenüberliegende Wand lehnte, waren seine Bewegungen beherrscht. Sobald er es sich bequem gemacht hatte, wurde er ganz still und sah fast aus, als würde er nicht einmal atmen. Er bewegte sich wie einKampfsportler, fand sie … oder wie ein Raubtier. Ein Jäger. Davon geriet ihr Blut mehr in Wallung, als es sollte, und sie erwischte sich dabei, wie sie auf kleine Details achtete. Zum Beispiel, dass seine aristokratische Nase einen kleinen Knick aufwies, er musste sie sich mal gebrochen haben. Oder wie elegant seine Hände aussahen, und wie lang die Finger waren, aber auch hart und schwielig wie von schwerer Arbeit.
Benz hatte sie einmal damit aufgezogen, dass man schon genetische Experimente brauchen würde, um den perfekten Mann für sie zu erschaffen. Sie wollte alles: Verstand, Mitgefühl, Ehre und Romantik – im kräftigen und muskulösen Körper eines Arbeiters. Und er hatte damit nicht unrecht, denn das wäre die lebendig gewordene Verkörperung ihres Helden … genau wie der, der ihr jetzt gegenübersaß und in die Nacht hinausstarrte.
Nur dass er nicht wirklich lebendig ist, oder? sagte ihr logisches rationales Selbst. Und die Hitze, die durch ihren Körper fuhr, legte sich wieder. Es stimmte. Ihr Gehirn trickste sie aus, so wie damals, als sie ein kleines Mädchen gewesen war und gedacht hatte, ihre maman würde ihr zuflüstern und sie in den Wald schicken, um nach Antworten zu suchen. Sie brauchte keinen Polizeipsychologen, der ihr das sagte.
Du musst zu diesem Vortex, erinnerte sie ihre Logik. Er hat gesagt, dort geht es nach Hause. Und wenn die Illusion derart realistisch war, musste sie nur die Regeln der Illusion befolgen, um herauszukommen. Vielleicht. Hoffentlich.
Aber der Ort, an dem der Vortex sich bildete, war besetzt von Wolfyn, und … Augenblick mal. „Wenn die
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