Das Herz des Werwolfs (German Edition)
glaubst oder nicht. Also, warum vergisst du nicht mal diesen typisch menschlichen ‚Ich glaube nur, was ich auch beweisen kann‘-Quatsch und akzeptierst, dass das hier wirklich passiert und dass du aus einem bestimmten Grund hier bist? Denn wenn du mir nicht hilfst, werden viele Leute sterben.“
„Ich …“ Sie starrte ihn an, und ihre Kehle wurde staubtrocken. „Was?“
„Sie. Werden. Sterben“, sagte er abgehackt durch zusammengebissene Zähne. „Ich muss in den nächsten zweiundsiebzigStunden zurück auf die Burginsel, und du sollst mir dabei helfen.“
Ihre Kehle zog sich zusammen, aber sie zwang sich trotzdem zu sprechen. „Ich habe noch nie von dieser Burginsel gehört.“ Dann hob sie die Hand, weil sie ihm schon ansah, was er erwidern wollte. „Und wenn du noch einmal ‚Vortex-Krankheit‘ sagst, schreie ich.“
Seine Miene entspannte sich. „Okay. Wenigstens hörst du jetzt zu.“
„Ich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß selbst nicht, was ich tun soll, ich habe Angst und bin verwirrt. Was ist hier los? Was ist auf der Burginsel, und wieso musst du dorthin? Und was habe ich damit zu tun?“ Das spielt alles keine Rolle. Es ist nur eine Illusion.
„Ich weiß nicht, was du genau damit zu tun hast, oder warum gerade du. Aber ich kann dir von der Burginsel erzählen.“ Er machte eine Pause. Als sie ihm mit einem Nicken bedeutete, fortzufahren, verzog er sein Gesicht wehmütig und bitter und fing an: „Es war einmal ein Prinz, der dachte, die Welt sollte sich um ihn drehen …“
Ihr wurde eiskalt, als er ihr beschrieb, wie seine Heimat von einem schrecklichen Magier angegriffen worden war und seine Eltern einen mächtigen Zauber gesprochen hatten, der ihn und seine Geschwister gerettet hatte. Aber der Zauber war auch schiefgegangen, hatte sie an die Burg gebunden und das Königreich verflucht, falls es ihnen nicht gelingen sollte, rechtzeitig zurückzukehren. Er wiederholte die Nachricht, die er vom Geist seines Vaters bekommen hatte: Dass er auf eine Frau warten sollte, die ihn führte, und dass er, wenn sie gekommen war, spätestens vier Nächte danach auf die Burginsel gelangen musste, umsich mit seinen Geschwistern zu vereinen und den Blutmagier zu töten.
Er hielt inne, und seine Miene wurde ausdruckslos. „Und danach weiß ich nur noch, dass ich hier in der Welt der Wolfyn aufgewacht bin. Seitdem tue ich mein Bestes, sie davon zu überzeugen, dass ich im Vortex mein Gedächtnis verloren habe, damit sie nicht merken, dass ich einer königlichen Familie angehöre … und die ganze Zeit warte ich darauf, dass meine Führerin kommt. Und dann, etwa vor einer Woche, haben die Träume angefangen.“
„Träume“, flüsterte sie, und ihr wurde plötzlich warm.
Er nickte. „Ich habe dich gesehen, Reda. Dein Gesicht. Deine Augen. Die Magie hat dafür gesorgt, dass ich dich erkenne, wenn du kommst.“
Sie bewegte sich unruhig und zog ihre Beine ein Stück zurück, weg von seinen. „Magie gibt es nicht.“
„In deiner Welt vielleicht nicht. In meiner schon.“
Ihr Puls hämmerte laut in ihren Ohren. Der Polizeipsychologe hatte in Erwägung gezogen, sie einweisen zu lassen, aber letztendlich hatte sie nur eine ambulante Therapie bekommen, die mit täglichen Intensivsitzungen begonnen hatte und immer weiter reduziert worden war. Jetzt fragte sie sich, ob das vielleicht ein Fehler gewesen war. Vielleicht hatte sie ihre Heilungserfolge nur vorgetäuscht und machte sich selbst etwas vor, auch jetzt noch. Oder saß sie gerade irgendwo in einem Sanatorium und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster, während ihr Bewusstsein ihr etwas vorgaukelte? Sie spürte Panik in sich aufsteigen, als sie vergeblich versuchte, sich das vorzustellen. Sie versuchte, in ihr „richtiges“ Bewusstsein zurückzukehren, aufzuwachen, aber auch das konnte sie nicht. Die Höhle,der Mann und seine Geschichte fühlten sich vollkommen real an. Was bedeuten würde …
„Nein“, sagte sie und richtete sich auf, soweit die niedrige Höhlendecke es zuließ. Sie fühlte sich eingeengt und dadurch noch nervöser. „Das kann nicht … ich bin nicht deine Führerin. Es muss ein Irrtum vorliegen.“
Er zeigte keine Regung, fixierte sie nur mit seinem Blick. „Als du in der Hütte aufgewacht bist, hast du mich erkannt. Ich konnte es in deinem Gesicht sehen.“
„Ich …“, habe von dir geträumt, mich nach dir gesehnt, mir vorgestellt, dass du all das für mich bist, was ein Mann aus Fleisch und Blut nie
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