Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Das Herz des Werwolfs (German Edition)

Titel: Das Herz des Werwolfs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Andersen
Vom Netzwerk:
den Trampelpfad mitten durch Einharr und wirbelten dabei nicht einmal Staub auf, so schwer war die Luft. Dayn war kaum überrascht, dass die einst so lebhafte Gemeinde, bekannt für ihre Singhallen und ihr Honigbier, nur noch eine triste und heruntergekommene Version ihres früheren Selbst war. Kinder starrten ihn aus hohlen Augen an, versteckt hinter Türen und Ecken. Sie zuckten zusammen, wenn er ihren Blick erwiderte. Ältere Männer und Frauen drückten sich in den Fenstern oder auf überdachten Veranden herum und sahen ihn mit trüben, interesselosen Augen an.
    Vor zwanzig Jahren, als er im Gefolge seiner Eltern das letzte Mal auf diesem Weg geritten war, hatten die Dorfbewohner dicht gedrängt auf der Hauptstraße gestanden, gejubelt und sich darum gerissen, Pferde und Wagen anzufassen. Jetzt, als er den dritten Block erreichte, wo das Tavernenviertel begann – oder jedenfalls früher begonnen hatte –, schien man seine Anwesenheit überhaupt nicht zu bemerken. Schien war dabei allerdings das Stichwort, denn als er weiterging, kribbelte es in seinem Nacken, und seine Instinkte sagten ihm, dass jemand ihn beobachtete und er sich in Acht nehmen musste. Das war ihm natürlich sowieso klar, aber er brauchte Informationen, und die bekam man am besten in Wirtshäusern.
    Er wählte dasjenige, bei dem die Stufen zum Eingang die tiefsten Trittspuren hatten, so wie es seine Gewohnheit gewesen war, als er noch als Forstwächter Nachforschungen angestellt hatte. Seine Schritte klangen hohl auf dem Lattenboden der Veranda, als er sich der schweren fensterlosen Tür näherte.
    Im Augenwinkel sah er eine Bewegung. Er fuhr herum, duckte sich und hob sein kurzes Schwert, aber es war nur ein Kind, ein dünner Junge mit grauen Augen, der zerlumpte Kleider trug und schwarz hinter den Ohren war, wo er vergessen hatte, sich zu waschen. Er versteckte sich nicht wie die anderen, sondern blieb einfach stehen, die Augen vor Schreck und Angst weit aufgerissen.
    Einen Moment lang, während der Junge wie ein Reh im Scheinwerferlicht erstarrt dastand, überkam Dayn die Erinnerung an große blaue Augen, die ähnlich erschrocken dreingeblickt hatten. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn und warnte ihn, dass er seine Gedanken an Reda nur unterdrückt hatte, sie aber nicht verschwunden waren. Nicht einmal annähernd.
    Dann löste das Kind sich aus seiner Starre, atmete tief ein und schrie so laut es konnte: „Wolfyn!“ Es wirbelte herum, rannte los und kreischte: „Mama, Papa! Der Wolfyn ist da!“

12. KAPITEL
    T üren öffneten sich knallend auf beiden Straßenseiten, und Männer mit Keulen kamen aus den Gebäuden und Seitenstraßen gerannt, strömten auf die Hauptstraße und brüllten Dinge wie „Schnappt ihn euch!“, „Schneidet ihm den Weg ab!“, „Das Kopfgeld gehört mir!“ und „Lasst ihn nicht entkommen!“.
    Fluchend wich Dayn einer Keule aus, wurde von einer weiteren an der Schulter getroffen und sprang auf die Straße. Er schwang sein Schwert in einem weiten Bogen, der seine Angreifer eher zurücktreiben als verletzen sollte. Seine Gedanken überschlugen sich und blieben immer wieder bei Diese verdammte Hexe und Was jetzt? hängen. Er war natürlich in der Unterzahl, aber er wollte die Dorfbewohner nicht umbringen. Er versuchte doch, sie zu retten, verdammt noch mal!
    Er sah sich hektisch um, während er die Keulen mit der flachen Seite seines Schwertes abwehrte, und suchte nach einer Lücke, einem Ausweg, und fand …
    „Jetzt!“, rief eine Stimme.
    Zu spät sah er das Netz mit den schweren Gewichten daran, das auf ihn herabfiel und sich dabei ausbreitete.
    „Verflucht und …“ Er wirbelte herum, um zu fliehen, aber das Netz traf ihn bereits und warf ihn zu Boden.
    Mit einem Brüllen sprang er wieder auf und strauchelte im Kampf gegen die verworrenen Seile. Es gelang ihm, seinen Schwertarm zu befreien, er stieß zu und hörte einen Schmerzensschrei. Eine Sekunde lang wichen die Dorfbewohner zurück. Aber nicht für lange, sie hatten ihn schon wieder eingekreist, als er sich vom Netz befreite, zur Seitesprang und das Schwert schwang. Er tastete nach seiner Armbrust, doch die war verschwunden.
    Er war umzingelt, aber die Dorfbewohner kamen nicht näher. Stattdessen zögerten sie und erhoben ihre Keulen, während sie brüllten und sich gegenseitig anstachelten. Eine Sekunde lang konnte er ihr Zögern nicht einordnen. Dann ging es ihm auf: Sie hatten Angst, dass er sich verwandeln würde, wussten nicht, dass er sich

Weitere Kostenlose Bücher