Das Herz des Wolfes (German Edition)
Kontrolle zu bringen.
»Vergiss nicht, Alice, wir wissen nicht, was ihnen zugestoßen ist«, sagte er. Rogers und Welch standen im Alphabet ziemlich weit hinten. Wenn der Mörder sie entführt hatte, hielt er sie vielleicht fest, bis er sein siebtes Opfer gefunden hatte. »Bisher wissen wir nur, dass sie vermisst werden. Sie müssen noch nicht tot sein.«
Sie hob den Blick und sah, dass Gideon sie eingehend beobachtete. In seinen Augen lag Schmerz. Obwohl er keinen der Vermissten kannte, litt auch er, litt ihretwegen. Bei diesem Anblick fand sie ihr Gleichgewicht wieder. »Gib mir einen Moment Zeit«, sagte sie. »Ich muss mich erst beruhigen, damit ich mich konzentrieren kann.«
Er nickte. »Ich koche uns Kaffee.«
Ein anderes Mal, später, würde sie sich genüsslich an dieses Bild erinnern, wie er sich auf dem Weg in die Küche nackt und völlig unbefangen durch ihre Wohnung bewegte. Jetzt aber hob sie nur die Bettdecke und ihr zerrissenes Nachthemd auf, trug die Sachen ins Schlafzimmer und ließ sie aufs Bett fallen. Draußen war es noch stockdunkel, aber die Uhr auf ihrem Nachttisch zeigte 7:08 Uhr. Ihr wurde bewusst, dass sie die dunklen Ereignisse für sich im Strom der Zeit markierte und diese Zahlen nie mehr vergessen würde – Albtraum: 3:23 Uhr, Freunde vermisst: 7:08 Uhr.
Schnell stieg sie für zwei Minuten unter die Dusche, um sich die Spuren ihrer Vereinigung abzuwaschen, fuhr sich mit der Zahnbürste über die Zähne und zog sich anschließend die weiche, bequeme Kleidung an, die sie am Vorabend getragen hatte. Als sie damit fertig war, konnte sie wieder klar denken.
Sie ging in die Küche. Gideon hatte seine Jeans angezogen, doch seine Füße und sein Oberkörper waren noch nackt. Der Kaffee war durchgelaufen, und er hatte ihnen schon zwei Tassen eingeschenkt. Mit einem flüchtigen Kuss, bei dem die kurzen Bartstoppeln in seinem unrasierten Gesicht über ihr Kinn kratzten, reichte er ihr eine davon. »Ich koche ihn stark«, warnte er sie.
»Das ist gut, stark kann ich jetzt gebrauchen.« Sie hob die Tasse an die Lippen und nippte daran. Das starke, bittere Gebräu traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Das war gut. Sie räusperte sich. »Ich werde einfach erzählen, so wie gestern Abend, ja?«
»Ja«, sagte er. Er lehnte sich an die Arbeitsplatte, trank seinen Kaffee und betrachtete sie.
»Stewie hat sich so darauf gefreut, seine Oma und seinen Opa zu sehen. Sie können sich die Reise nicht so oft leisten, daher war dieser Besuch eine große Sache. Schon am Mittwoch hatte er seinen Rucksack gepackt. Seine Mutter hatte ihm erlaubt, alle Spielsachen und Bücher, die er mitnehmen wollte, im Handgepäck zu verstauen, damit er sich auf dem Flug beschäftigen konnte. Leigh und Jim hatten sich gerade erst verlobt. In Kalifornien wollten sie Leighs Eltern die Nachricht überbringen.«
»Sie sind knapp bei Kasse?«, fragte Gideon.
Alice nickte.
»Wie kann Leigh es sich leisten, Stewart auf eine Privatschule zu schicken? Oder ist das der Grund dafür, dass sie so knapp bei Kasse sind?«
»Leigh hat mal erwähnt, dass ihre Eltern sie beim Schulgeld unterstützen«, sagte Alice. Sie nahm noch einen Schluck von dem bitteren Getränk, ehe sie fortfuhr. Jetzt, da sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören zu reden. »Und ich bin sicher, dass sie sich für ein Härtefall-Stipendium qualifizieren, was die Beiträge verringern würde. In unserer Gruppe helfen wir uns gegenseitig, wo wir können – immer abhängig von der Situation und davon, was der andere annehmen möchte. Kostenloses Babysitten oder Ähnliches. Manchmal tauschen wir auch untereinander. Leigh war begeistert, dass jemand sie mit dem Auto zum Flughafen mitnehmen wollte und sie den Shuttle-Bus nicht zu zahlen brauchte …«
Ihre Stimme verebbte. Gideon setzte seine Kaffeetasse auf der Anrichte ab. »Weißt du, wer sie mitnehmen wollte?«, fragte er ruhig.
Sie schüttelte den Kopf. »Alex hat sich angeboten«, sagte sie. »Und ich ebenfalls. Aber ob sich sonst noch jemand gemeldet hat oder wessen Angebot sie angenommen haben, das weiß ich nicht.«
»Okay«, sagte er. »Wir müssen mit Schaffer und allen anderen sprechen, um festzustellen, wer sie zuletzt gesehen hat.« Er wandte sich ab und sprach über die Schulter weiter. »Ich springe ganz schnell unter die Dusche. Würde es dir etwas ausmachen, für eine Weile mit mir aufs Revier zu kommen, meine Süße?«
»Überhaupt nicht.« Sie sah ihm nach, als er das Zimmer
Weitere Kostenlose Bücher