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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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    JUNE
     
    Es ist nicht einfach, die Kleidung
auszusuchen, in der dein Kind beerdigt werden soll. Der Bestatter hatte mir
nach den Morden nahegelegt, darüber nachzudenken. Er schlug vor, irgend etwas
zu nehmen, das zum Ausdruck brachte, wie sie gewesen war, ein niedliches
Mädchen - am besten ein hübsches Kleidchen. Er bat mich, ein Foto von ihr
vorbeizubringen, damit er sie so zurechtmachen konnte, wie sie ausgesehen
hatte: den richtigen Rotton ihrer Wangen, ihre natürliche Hautfarbe, ihre
Frisur.
    Am liebsten hätte ich zu ihm gesagt:
Elizabeth konnte Kleider nicht ausstehen. Sie hätte gern eine Hose ohne Knöpfe
getragen, weil die so schwer zugingen, oder womöglich das Halloween-Kostüm vom
letzten Jahr oder die winzige OP-Montur, die sie zu Weihnachten bekommen hatte
- ich hatte nur wenige Tage zuvor mitgekriegt, wie sie eine riesige Zucchini
»operiert« hatte. Am liebsten hätte ich zu ihm gesagt, dass Elizabeth keine
richtige Frisur hatte, weil sie einfach nicht lange genug stillstehen konnte,
um sich die Haare bürsten zu lassen, geschweige denn, sich Zöpfe oder Locken
machen zu lassen. Und dass er ihr nicht das Gesicht schminken sollte, nicht, wo
mir niemals der innige Augenblick vergönnt sein würde, den eine Mutter mit
ihrer Tochter erlebt, bevor sie das erste Mal ausgeht, wenn sie sie
Lidschatten, Mascara, rosa Lippenstift ausprobieren läßt.
    Der Bestatter sagte zu mir, es wäre schön,
einen Tisch mit Erinnerungsstücken aufzustellen, mit Dingen, die Elizabeth
wichtig gewesen waren - Stofftiere oder Fotos von Familienurlauben,
Schokokekse. Ihre Lieblingsmusik zu spielen. Ihre Schulklasse zu bitten,
Abschiedsbriefe zu schreiben, die in einer Seidentasche mit in den Sarg gelegt
werden konnten.
    Am liebsten hätte ich zu ihm gesagt: Ist
Ihnen eigentlich nicht klar, dass Sie mit Ihren Tipps für eine bedeutungsvolle
Beerdigung genau das Gegenteil erreichen - sie bedeutungslos machen, weil sie
allen Leuten das Gleiche empfehlen? Dass Elizabeth ein Feuerwerk verdient
hatte, einen Engelschor, eine Welt, die sich auf einmal rückwärts drehte.
    Letzten Endes zog ich Elizabeth das
Ballerina-Tutu an, das sie jedes Mal angezogen hatte, wenn wir zum Supermarkt
wollten, und wieder ausziehen musste, ehe wir losfuhren. Ich erlaubte dem
Bestatter dann doch, ihr zum ersten Mal das Gesicht zu schminken. Ich gab ihr
einen Plüschhund, ihren Stiefvater und fast mein ganzes Herz mit.
    Der Sarg war während der Trauerfeier
nicht geöffnet, doch ehe er zum Grab gebracht werden sollte, hob der Bestatter
den Deckel, um sich zu vergewissern, dass alles war, wie es sein sollte. In dem
Moment schob ich ihn beiseite.
    Lassen Sie mich, hatte ich gesagt.
    Kurt trug seine Uniform, passend für
einen Polizeibeamten, der im Dienst getötet worden war. Er sah genauso aus wie
immer, bis auf den schmalen weißen Streifen um seinen Finger, wo der Ehering
gesteckt hatte. Den trug ich jetzt an einer Kette um den Hals.
    Elizabeth sah zart aus, engelhaft. Sie
hatte Schleifen im Haar. Ein Arm umschlang die Taille ihres Stiefvaters.
    Ich griff in den Sarg, und als meine Hand
die Wange meiner Tochter streifte, fröstelte ich, weil ich irgendwie noch immer
erwartet hatte, dass sie warm war - nicht dieses fahle Fleisch, diese kühle
Haut. Ich zog ihr die Schleifen aus dem Haar, hob sachte ihren Kopf und
fächerte das Haar auf beiden Seiten ihres Gesichts auseinander. Ich zog den
linken Ärmel des Ballettkleidchens ein Stück nach unten, passend zum rechten.
    Ich hoffe, es ist alles zu Ihrer
Zufriedenheit, hatte der Bestatter
gesagt.
    Elizabeth sah nicht aus wie sie selbst,
kein bisschen, weil sie viel zu perfekt war. Meine Tochter wäre zerzaust und
strubbelig gewesen, sie hätte schmutzige Hände gehabt vom Frösche fangen,
unterschiedliche Socken an den Füßen, an den Handgelenken selbst geflochtene
Armbänder.
    Doch in einer Welt, wo Dinge geschehen,
die nicht geschehen sollten, sagst und tust du auf einmal Dinge, die das
komplette Gegenteil von dem sind, was du meinst. Also hatte ich genickt und
zugesehen, wie er für immer den Deckel über den beiden Menschen schloss, die
ich auf dieser Welt am meisten liebte.
    Jetzt war ich plötzlich in der gleichen
Situation wie elf Jahre zuvor, stand im Zimmer meiner Tochter und sah ihre
Anziehsachen durch: Blusen und Röcke und Strumpfhosen, Jeans so weich wie
Flanell und ein Sweatshirt, das noch nach dem Apfelgarten roch, in dem sie es
zuletzt angehabt hatte. Ich entschied mich für

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